Die Deutschen haben die „repräsentative Demokratie“ so ins Herz geschlossen, dass sie nicht einmal mehr merken, dass sie in der praktisch gar nichts entscheiden können. Nun dürfte es bei mehr als 80 Mio Bürgern unmöglich sein, dass bei jeder Entscheidung alle zusammen kommen, debattieren und dann abstimmen. Insofern ist die Kritik an der Repräsentanz wohlfeil. Was man kritisieren kann ist m. E., dass sich die Parteien diesen Staat unter den Nagel gerissen haben. Gemäß dem GG wirken Parteien an der politischen Willensbildung mit, der Staat gehört ihnen jedoch nicht und sie sind nicht mit seinen Institutionen identisch, auch wenn sie diese durchdringen.
James Madison, vierter Präsident der USA und einer der Gründerväter, hat einmal sinngemäß gesagt, dass Staat, Verfassung und Regierung dazu da sind den Reichtum der Besitzenden vor dem Zugriff der Massen zu schützen. Diese Aufgabe wird von den meisten Systemen der Welt und auch in Deutschland nahezu perfekt erfüllt.
Heißt die Konsequenz aus diesen Schwächen des Systems nun wirklich Wahlverzicht? Entzieht man damit dem System die Legitimation? Eher nicht; man wirkt im Gegenteil sogar systemerhaltend. Wenn unzufriedene Bürger sich der Wahl enthalten, werden die gleichen Kanaillien einfach mit weniger Stimmen in die Parlamente gewählt. Das ist, allen Sonntagsreden zum Trotz, durchaus ein Kalkül. Wer unzufrieden ist und nicht wählt, ist für Dauerkandidaten ungefährlich. Wer aber einen Konkurrenten wählt, gefährdet dessen Wiederwahl.
Protest auf der Straße ist gut, wirkt aber nur begrenzt, denn die Politiker und Regierenden werden damit ja nicht ersetzt. Im Gegenteil erklären Berater den Politikern, dass beharrliches ignorieren des Volkes für richtige und erfolgreiche Politik steht. Zudem nehmen in Deutschland leider meist nicht sonderlich viele an Demonstrationen ein. Politiker und Medien haben vielen Bürgern erfolgreich eingetrichtert, dass Demonstranten praktisch gewalttätig und kriminell sind.
D. h., wir sollten alle zur Wahl gehen und unbedingt gültige Stimmen abgeben. Wer ungültig wählt, kann ebenso gut der Wahl fernbleiben, denn seine Stimme wird bei der Verteilung der Mandate gar nicht berücksichtigt, da nur gültige Stimmen gewertet werden.
Eine hohe Wahlbeteiligung wäre der Albtraum für Politiker. Angenommen, 98% aller Wahlberechtigten würden sich an der Wahl beteiligen und das nicht nur einmal, sondern jedes Mal. Wenn man dann nur für die Kandidaten erneut stimmt, die nachweislich gut gearbeitet haben, falls nicht aber für einen Wettbewerber stimmt, fallen viele Versager einfach raus. Wir müssen also schon taktisch zu Wechselwählern werden. Parteien, die bei den heutigen Wahlbeteiligungen mit wenigen Stimmen gerade noch die 5-Prozenthürde nehmen und mit Klientelpolitik bestimmte politische Themen dominieren, würden es bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung gar nicht mehr in die Parlamente schaffen.
M. Boettcher