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  • Der Psychater

409 Beiträge seit 05.04.2020

Föderalismus versus Zentralismus

Dieser Konflikt zieht sich durch alle möglichen Staaten bei ihrer Staatsgründung. Ich habe es immer so gesehen: bei der Bildung der Sowjetunion gab es wichtige Gründe für die Bolschewiki für einen Föderalismus einzutreten: neben der Absicherung der Revolution war da auch der Aspekt, sich vom Zarentum abzusetzen, welches zentralistisch strukturiert war. Insbesondere in einem extrem großen Vielvölkerstaat bedeutet Föderalismus Stabilität, da historisch zentralistisch strukturierte Vielvölkerstaaten, zumal sehr große, sehr instabil waren, schnell verfielen. So hatte z.B. das große antike Perserreich deshalb über Jahrhunderte Bestand, da es kulturell tolerant war und föderale Aspekte hatte. Darüberhinaus ist ein kommunistischer Staat, der ursprünglich auf dezentrale Räte beruhte, in seiner Verfassung eher föderal, nicht zentral. Auch waren die Bolschewiki selbst nicht homogen, die verschiedenen Menschen der russischen Revolution wollten ihrer unterschiedlichen Herkunft eine Verfasstheit geben, halt im Gegensatz zur Zarenzeit.

Ich verstehe Rosa Luxemburg dahingehend, dass sie nicht den Föderalismus an sich ablehnte, da eine Räterepublik ja immer dezentrale, föderale Aspekte hat. Problematisch fand sie den Einzelnationalismus, der beim Föderalismus immer Bedeutung gewinnt. Auch ihre Befürchtung, dass die Autonomie von Bundesstaaten der jeweiligen bürgerlichen Klasse in die Hände spielen würde, tritt stark in den Vordergrund. Diese Befürchtung hat sich dann im Stalinismus aber nicht realisiert. Allerdings haben Bundesstaaten ihre nationalen Interessen durchgesetzt, wenn aus ihren Reihen der Präsident gestellt wurde, so wurde die Krim ukrainisch.

Selbstverständlich hat die Ukraine aufgrund ihrer Geschichte eine eigene Kultur. Ein Teil war ja lange habsburgisch. Die ukrainische Sprache unterscheidet sich von der russischen. Was man z.B. den Kaukasusrepubliken gewähren musste, konnte der Ukraine nicht verweigern werden. Die Einladung an andere Staaten, Mitglied der Sowjetunion zu werden, müsste mit der Möglichkeit des Wiederaustritts schmackhaft gemacht werden. Die Bolschewiki waren halt sehr überzeugt von der Anziehungskraft ihres Modells.

Putin ist ein Zarist, der die russische Revolution ablehnt, diese Geschichte bedauert. Das ist das, was ich in seiner zitierten Rede herauslesen konnte. Andererseits war er bisher nicht so blöd, dass er die verschiedenen postsowjetischen Republiken "heim ins Reich" führte, da ihm wohl klar war, dass dies nicht nur außenpolitisch Instabilität bringt. Er beschränkt seinen Imperialismus nun auf völkische Phantasien, in denen Moskau die natürliche Zentrale für Belarus und die Ukraine sei, denen er die Souveränität abspricht. Selbstverständlich ist das nicht nachhaltig, die zwangsweise völkische Vereinnahmung birgt sowohl was die Ukraine als auch Belarus betrifft, das mittelfristige Risiko des Zerfalls. Ich wüsste historisch kein Reich, was so langfristig zusammengehalten werden könnte.

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