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9 Beiträge seit 04.06.2024

Gordon Rattray Taylor

... dieser Name wird vermutlich nur sehr wenigen etwas sagen. Taylor war Biologe von Haus aus und als BBC-Autor in GB sehr bekannt. In Deutschland wurde er 1971 durch sein Buch "Das Selbstmordprogramm" mäßig bekannt. Es war eines der ersten populärwissenschaftlichen Werke zum Umweltschutz, gefolgt vom ersten Club of Rome-Report.

Der telepolis-Bericht über Indiens massive Umweltprobleme hat mich an Taylors Buch erinnert. Er verglich in seiner Einleitung die Erde mit dem, was er aus dem Reagenzglas kannte. Er schrieb sinngemäß, dass man in dem Reagenzglas eine Bakterienkultur anlegen könnte. Diese entwickele sich zunächst gut und vermehre sich exponentiell solange bis ein Schwellenwert erreicht sei, wo der Mangel an Nährstoffangebot in der Nährlösung die Vermehrung bremse während gleichzeitig die Bakterienkultur an ihren eigenen Ausscheidungen binnen kurzer Zeit zugrunde gehe.

Taylor war natürlich klar, dass die "Grenzen des Wachstums" in einem Reagenzglas als abgeschlossenes System nicht direkt mit dem "System Erde" zu vergleichen ist. Aber er war der Auffassung, dass die Erde, dadurch dass sie ebenfalls abgeschlossen ist als Ökotop im Weltall, eben nur ein wesentlich größeres "Reagenzglas" sei mit selbstverständlich viel komplexeren positiven wie negativen Rückkopplungen. Aber, so Taylor, komme mit der Zunahme der Weltbevölkerung, ihrem Konsum und ihren Ausscheidungen (Müll, Industrieabfälle) die Erde ab Erreichen eines Schwellenwertes ebenfalls an ihre Grenzen. Ohne Regulierung nannte er diesen Trend ein "Selbstmordprogramm".

Der Bericht von Gilbert Kolonko (GK) hat mich an dieses Bild von Taylors Reagenzglas wieder erinnert. GK hat zwar etliche Ungenauigkeiten und Irrtümer in seinem Bericht (Nachttemperaturen von "knapp unter 40 Grad Celsius" bei hoher Luftfeuchtigkeit würde die Kühlgrenztemperatur eindeutig überschreiten und zu Massensterben führen), aber davon mal abgesehen, zeigt es exemplarisch, was eine unregulierte Bevölkerungszunahme bei endlichen Ressourcen und "Ausscheidungen" (im weitesten Sinn) zur Folge haben kann, wenn es keine politische Regulation gibt. So, wie das bspw. China gemacht hat.

Es sei noch einmal daran erinnert, dass Indien und China um 1948 herum eine fast identische Ausgangslage hatten. Vgl. https://www.frankfurter-hefte.de/artikel/china-und-indien-wirtschaftsmodelle-im-vergleich-2528/
Doch China hat mit zwar rabiaten aber offensichtlich vernünftigen Methoden in den letzten 75 Jahren dafür gesorgt dass:

"Chinas Wirtschaft etwa 5-mal so groß [ist], mit einem BIP von 17,7 Billionen Dollar gegenüber einem BIP von 3,2 Billionen Dollar in Indien. Indien hat im Wettbewerb um die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie an Boden verloren. China hat fast doppelt so viele MINT-Studenten wie Indien. China gibt 2 Prozent seines BIP für Forschung und Entwicklung aus, während Indien 0,7 Prozent aufwendet. 4 der 20 umsatzstärksten Technologieunternehmen der Welt sind chinesisch, keines ist in Indien ansässig. (...) Chinesische Arbeitskräfte sind produktiver als Inder. Die internationale Gemeinschaft hat zu Recht Chinas 'Armutsbekämpfungswunder' gefeiert, das die bittere Armut im Wesentlichen beseitigt hat. Im Gegensatz dazu gibt es in Indien nach wie vor ein hohes Maß an Armut und Unterernährung. Im Jahr 1980 hatten 90 Prozent der 1 Milliarde Einwohner Chinas ein Einkommen, das unter dem von der Weltbank festgelegten Schwellenwert für bittere Armut lag. Heute liegt diese Zahl bei nahezu Null. Doch mehr als 10 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner Indiens leben nach wie vor unter diesem Schwellenwert für extreme Armut von 2,15 Dollar pro Tag. 16,3 Prozent der indischen Bevölkerung ist unterernährt, verglichen mit weniger als 2,5 Prozent der Bevölkerung Chinas."

https://www.ftd.de/finanzen/aktien-und-maerkte/wird-indien-china-uebertrumpfen-die-wirtschaftsmaechte-im-vergleich/

Die hohe Feinstaubbelastung der Luft in chinesischen Metropolen, wie sie noch 2008 (vor der Olympiade) durch die Presse gingen, sind mittlerweile weitgehend behoben. Allerdings - das ist insbesondere für die indischen Metropolen von großer Bedeutung - sorgt eine extreme Luftverschmutzung auch dafür, dass ein Teil des Sonnenlichts die Erde nicht erreicht und von der Strahlungsbilanz her diese Städte abkühlt (global dimming effekt). Der Dreck in der Luft "maskiert" die lokale Klimaerwärmung dort.

Man mag als Europäer da mit erhobenem Zeigefinger (weil man alles besser weiß ;-) für die Einhaltung der WHO Grenzwerte plädieren, Tatsache ist aber, dass die Folgen für die Temperatur in diesen Städten fatal wären. Zwei Grad zusätzlicher Erwärmung sind da locker drin. Das haben die Erfahrungen in China bereits gezeigt.

Wie man die Sache auch dreht und wendet, letzten Endes komme ich wieder auf das Reagenzglas-Beispiel von Taylor zu sprechen. Das Grundproblem ist die Zahl der Weltbevölkerung - und damit der Konsumenten und Abfallproduzenten. Das hat nicht nur Taylor aufzuzeigen versucht, sondern auch der erste Club of Rome Report von 1972. Die im ersten Bericht vorgestellten 12 Szenarien haben alle gezeigt, dass die Zahl der Weltbevölkerung der entscheidende Parameter war für ein stabiles Szenario. Die restlichen 11 Szenarien haben früher oder später zum Kollaps geführt.

Vor circa zehn Jahren hat ein weiterer Report diese Notwendigkeit noch einmal hervorgehoben. Doch der Proteststurm von Seiten religiöser Institutionen sowie "linker" Protagonisten, die in allem nur ein Verteilungsproblem witterten, hat sie schnell wieder verstummen lassen. Aber so wird man die Misere natürlich nie beheben. Weder weltweit noch in Brennpunkten (nomen est omen) wie Indien.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.06.2024 18:02).

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