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  • nichtmehrkoelner

626 Beiträge seit 29.08.2022

Detailkritik vs. Fundamentalkritik

Das die Notenbanken mit ihrer Zinspolitik den Entwicklungen i.d.R. hinterher rennen, und damit oft mehr Kollateralschäden anrichten, als gewünschte Effekte produzieren zeigte die nicht nur jüngste Geschichte.

Wenn ich in einem Schuldgeldsystem, also einem Geldsystem das neues Geld durch Kredite in Umlauf bringt, die Leitzinsen erhöhe verteuere ich die Kreditkosten für alle - und das ist nicht immer nur schön und wünschenswert. Ich verknappe damit ein wenig die Geldvermehrung, bremse also etwas die Inflation - aber ich mache auch getätigte Investitionen evt. unbezhalbar, produziere Insolvenzen und Pleiten und verhindere neue Investitionen - 2 Seiten einer Medaille.

Dann die Nutznießer des Ganzem. Ist der Leitzins niedrig, oder gar bei Null, wie es die letzten Jahre war - dann gehen große Vermögen lustig mit kostenlosem Geld einkaufen. Sie belassen ihr investiertes Vermögen in den lukrativen Investments, und beleihen das zu Null Zins und kaufen Infrastruktur, Land, Immobilien für fast nichts.
Werden die Leitzinsen angehoben, erhöhen sich die Renditen der Vermögen und sie haben höhere Erträge, ohne komplizierte aufwändige Investitionen - ab ca. 3% Leitzins arbeiten Banken wieder mit Gewinn, und die Vermögenden können ihr Geld allein durch rumliegen lassen gut vermehren, salopp gesagt. D.h. für Vermögen scheint es einerlei, ob der Leitzins hoch oder niedrig ist, was sich ja auch mit den Vermögensvermehrungen der letzten Jahre beobachten lies.

Nur der gesellschaftliche Effekt ist dabei etwas komplizierter. Weniger Investitionen in reale Güter, Infrastruktur, etc. sind weniger Innovation, weniger zeitgenössisch bezahlte Arbeitsplätze, weniger Forschung, etc. und so konnte man beobachten, das trotz steigender Inflation die Reallöhne stagnierten, aber bei niedrigen Leitzinsen die Vermögen auch nicht real investierten, sondern am Finanzmarkt ihre hohen Renditen zu holen suchten - auch wieder keine Investitionen in die Realwirtschaft.

Irgendwie ist dieses Geldsystem so konstruiert, das Arbeit immer verliert und Vermögen immer gewinnt, und der Leitzins der Notenbanken steuert nur ein wenig die Vermögenswanderungen, wie jetzt EU -> USA, aber der einzige Vorteil für die Allgemeinheit an einem Schuldgeldsystem, es stehen jederzeit genügend Mittel für Investitionen zur Verfügung, hoffentlich sinnvolle - wird durch diese Leitzins-Spielchen kaum bis gar nicht beeinflußt.

Einer der möglichen Gründe hat Richard A. Werner in seinem Buch "The Princess of The Yen" anhand seiner Beobachtungen in den 80/90ern in Japan beschrieben. Er beobachtete wie sich die Notenbank-Politik in den 80ern in Japan massiv verändert hat - und zwar nicht der Leitzins war seiner Analyse nach das tragische, sondern für was das neue Geld aka Kredite in Umlauf gebracht wurde. Die BIZ-Vorgaben (Bank für Internationale Zusammenarbeit in Basel) geben nur sehr niedrige Standards bei der Kreditvorgabe vor, die Nationalbanken können darüber hinaus gehen und mehr Vorgaben definieren. Und das tat man in den 80ern in Japan, wie auch in Deutschland, da war man sich ne Zeit lang sehr ähnlich - Realinvestitionen niedrige Zinsen, Spekulative oder direkt Geldmarkt-Investitionen hohe Zinsen, und oft mehr Sicherheiten.

Und davon wich die Bank of Japan in den 80ern bis heute, massiv ab, war seine Beobachtungen. Die Kreditvergabe-Kriterien wurden brutalst verändert, und es wurden aufeinmal Kredite für "Investitionen" gewährt, für Quark und Bullshit - und Deutschland zog dann ab den 90ern nach. In den USA noch schlimmer, mit 1/10 Sicherheit der Kreditsumme konnten dort in Zeugs, meist eben Finanzmarkt-Produkte investiert werden, was vor Bill Clinton so nie gegangen wäre, und bescherte uns Lehman und Konsorten.

Das sind Trigger, die viel schlimmer die Geldmengen, Investitions-Objekte, etc. beeinflussen, als 1 oder 2% mehr Leitzins. Daran gemessen, wie sich das seit den 80ern verändert hat, empfinde ich die Leitzins-Debatte als eine Scheindebatte. Nach den Bundesbank-Regeln der 80/90er mussten Auslandskredite mit bis 50% Eigenkapital oder gleichwertigen Sicherheiten hinterlegt werden, was natürlich viel vorsichtiger machte. Um das etwas abzumildern gabs die Hermes-Kreditabsicherung durch den Bund, aber da schaute natürlich noch jemand im Wirtschaftsministerium und der Bundesbank drüber - etwas, was heute noch kaum vorstellbar mehr ist, allein wegen der Expertise.

Dieses Finanz- und Geldsystem ist in der heutigen Form kaum noch reformierbar, und an sein Ende gekommen. Ein bißchen Leitzins-Spielerei ändert daran gar nichts - und das sollte die Diskussion sein. Denn das Tauschmittel Geld ist eine Gesamtgesellschaftliche Ressource!

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