KenGuru schrieb am 07.11.2022 13:28:
hoppeligerHase schrieb am 07.11.2022 11:57:
Tendenzieller Fall der Profitrate ist das Stichwort.
Kapitalwachstum findet statt, das Resultat ist immer mehr konstantes Kapital, dass immer weniger Arbeitskraft gegenüber steht. Es ist relativ einfach aus 100€ 200€ zu machen. Aus 100.000.000€ aber 200.000.000€ zu machen, das ist eine ganz andere Nummer.
Ob das eine ganz andere Nummer ist, hängt vom Preisniveau ab. Während der Hyperinflation in der frühen (!) Weimarer Republik (nicht zu verwechseln mit der Deflation, die Hitler an die Macht brachte - wir verstehen da leider unsere eigene Geschichte nicht und sind daher dazu verdammt, sie zu wiederholen) war es überhaupt kein Problem selbst für den einfachen Arbeiter, aus einer Reichsmark eine Billion zu machen.
Ich würde - um den Sachverhalt nicht zu verkomplizieren - die Inflation außen vor lassen.
Auf volkswirtschaftlicher Ebene haben Leute wie Keynes, aber auch von Marx inspirierte Ökonomen wie Kalecki, durchgerechnet, dass ein krisenfreier Kreislaufkapitalismus selbst ohne Wachstum machbar wäre. Allerdings haben sie dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass die Interessen der kapitalistischen Klasse identisch sind mit den Interessen jedes einzelnen Kapitalisten.
Was seit Adam Smith jeder Ökonom voraussetzt und von Schumpeter noch mal expliziter herausgearbeitet wurde, ist ein stetiger Verdrängungswettbewerb, der es dem kleinunternehmerischen David stets ermöglichen soll, den Großkapitalisten Goliath herauszufordern. Dass dies im modernen Kapitalismus kaum möglich ist und es diverse Mechanismen gibt, wie Großkonzerne Wettbewerb teils legal und teils illegal aushebeln, ist allgemein bekannt. Unter keynesianischen Bedingungen hingegen hätte David eine reale Chance gegen Goliath. Und genau das ist der Grund, warum wir heute keine keynesianische Politik mehr sehen.
In den 30ern hat eine radikale Arbeiterklasse in den USA, die glaubwürdig mit Revolution gedroht hat, Roosevelt zu Reformen gezwungen, die dann mit dem Bretton-Woods-System nach dem Krieg sich im ganzen Westen ausbreiteten und dort zu genau jener keynesianischen Dynamik geführt haben - ein kleinbürgerliches Idyll, das kapitalistischer Propaganda leider viel Glaubwürdigkeit verlieh (Roosevelt selbst hat es als seine größte Leistung bezeichnet, den Kapitalismus gerettet zu haben). Die ökonomischen Krisen jener Zeit konnten tatsächlich gut gedämpft werden und selbst Arbeiter konnten sich ein Eigenheim leisten. Besonders interessant im ökologischen Kontext dürfte außerdem sein, dass Keynes selbst Modelle mit Nullwachstum vorgeschlagen hatte und man den Wachstumspfad vor allem gewählt hat, weil man einen Wideraufbau zu bewältigen hatte und weil man dem Systemkonkurrenten einen Schritt voraus bleiben wollte.
Seit den 70ern sitzen aber die Großkonzerne wieder so fest im Sattel wie vor der Großen Depression, mit dem Resultat, dass Keynes nur noch aus der Schublade geholt wird, wenn es wirklich eng für das System wird. Dies dürfte sich so lange fortsetzen, bis die Monopole groß genug sind, um eine der kommenden Krisen zu nutzen, das Feigenblatt des "demokratischen" Staates gänzlich abzuwerfen und seine Dominanz so direkt und unmittelbar auszuüben wie mittelalterliche Feudalherren. Sobald mögliche Konkurrenten nur noch Produktionsmittel von den Monopolen mieten können - zu den von den Monopolen diktierten Bedingungen - dürften sie ein vermehrtes Interesse haben, die volkswirtschaftlichen Resourcen besser auszulasten und weniger Krisen auszusetzen.
Dass dies dennoch dystopisch wäre, liegt auf der Hand, und es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, das System noch in dieser aus meiner Sicht eher Früh-Imperialen Phase (ich widerspreche hier ausdrücklich Lenin) zu stürzen.
Ich finde es erstaunlich, dass es immer wieder Ökonomen gibt, die Behauptungen/Berechnungen anstellen, was der Kapitalismus alles könnte, wenn er es real nicht macht.
Wäre es nicht sinnvoller, sich anzusehen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten der realen Kapitalismus funktioniert?
Oder, sich anzuschauen, auf was die Regierungen dieser Welt Wert legen, welche Zwecke die haben, und wie sie die verfolgen. Es gibt keinen Staat, der mit einem Nullwachstum zufrieden wäre. Was auch nicht verwunderlich ist, da die Mittel, die die Ökonomie abwirft ihre Machtbasis sind, und davon wollen sie möglichst viel.