hoppeligerHase schrieb am 07.11.2022 13:21:
Das schafft den Anreiz für den Kapitalist. Es behebt aber nicht das Liquiditätsproblem.
Nehmen wir an ein Kapital schlägt 1 mal im Jahr um. Kommt es zu Stockungen im Produktionsprozess, braucht das Kapital länger für den Umschlag. Kommt es zu Stockungen bei W-G` braucht es ebenfalls länger.
Als W ist Kapital gebunden, es steht nicht für den Ersatz von verbrauchten Kapitalbestandteilen zur Verfügung. Die werden ja nicht alle kontinuierlich ersetzt. Der Kapitalist braucht also zu jedem Zeitpunkt einerseits Liquidität, um Löhne zu zahlen, Roh- und Verbrauchsstoffe zu ersetzen, und will andererseits sein Kapital im Verwertungsprozess sehen, und nicht als totes Kapital unproduktiv rumliegen haben.
Das ergibt dann eine Verlaufsform, wo der produktive Kapitalist einen Teil des Mehrwerts ans Handelskapital abtritt und dafür aber W-G` realisiert, auch wenn G` geringer ist. G` soll aber nicht unnütz rumliegen, sondern geht möglichst wieder in G-W ein. Was letztlich dazu führt, dass viel Kapital, welches eigentlich fixes Kapital ist, aber eben schon anteilig über den Warenverkauf zurückkehrt erneut in die Produktion eingeht.
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Für nicht-eingeweihte Mitlesende: W bezeichnet "Waren" und "-" steht hier nicht für ein mathematisches Minus (das würde auch gar nicht gehen, da Waren und Geld nicht die gleiche Einheit haben), sondern es symbolisiert bloß einen Übergang. Ein passenderes Symbol wäre vielleicht "->".
Liquiditätsprobleme treten in großem Maßstab immer dann auf, wenn in einer Periode weniger Geld ausgegeben wird als für die Begleichung aller Rechnungen benötigt wird. Dies kann passieren, wenn Leute versuchen, was auf die hohe Kante zu legen.
Hierfür gibt es zahlreiche Mechanismen, wie eine solche Situation endogen vermieden werden kann:
1. Menschen können Ihr Geld schneller ausgeben. Dies funktioniert natürlich nur für Unternehmen und Kleinselbständige, denn deren Einnahmen sind die Ausgaben von anderen. Angestellte hingegen können ihr Geld leider nur einmal ausgeben.
2. Jemand kann sich verschulden. Zum Beispiel
2.1 Unternehmen, deren Umsatz ins Stocken gerät, sind optimistisch, dass die Probleme temporär sind und wollen qualifizierte und loyale Angestellte halten statt zu feuern und dann neue einzustellen. Also nehmen sie einen Kredit auf oder zahlen die Löhne aus eigener Tasche.
2.2 Es kommt zu einem allgemeinen Preisauftrieb, sodass die Zahlen des Unternehmers immer besser aussehen und er stets Geld von den Banken kriegt. (Gerade hyperinflationen wären gar nicht möglich, wenn Unternehmen in solchen Situationen nicht im großen Maßstab Kredite aufnehmen würden).
2.3 Durch demographischen Wandel gibt es einen Überhang an Rentnern, von denen ein gewisser Teil es tatsächlich geschafft hat, fürs Alter zu sparen und das Geld nun wieder her gibt.
Mehr oder minder exogen steht noch Staatsverschuldung zur Verfügung, die zumindest im Prinzip unbegrenzt ansteigen kann und dies nur so lange muss, wie es einen Sparüberhang gibt, der nicht endogen gelöst wird. Man beachte, dass keynesianische Lösungen deutlich nuancierter sind, als man das heute so mitkriegt, wenn neoliberale Ökonomen Keynes wieder aus der Mottenkiste holen, wenn es *wirklich* eng wird (siehe mein Post an anderer Stelle). Diese Rezepte haben in der Vergangenheit nicht nur zufällig im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem Krieg funktioniert, sondern sie sind durchaus systematisch korrekt. Indes gibt es endogene Gründe, warum Großkonzerne einen Kapitalismus mit Krisen gegenüber einem keynesianischen Kleinbürgeridyll bevorzugen (siehe erneut den anderen Post an anderer Stelle).
Der Grund, warum das wichtig ist: es gibt etliche Arbeiter, die sich einen keynesianischen Kapitalismus zurück wünschen und in dieser Richtung auch ausreichend informiert sind, um zu wissen, dass das funktionieren würde. Statt zu versuchen, diesen Arbeitern mit schwachen Argumenten ihren Keynes madig zu machen (was nicht funktionieren wird, weil in diesen wichtigen Punkten Marx einfach überholt ist - auch und gerade dank Keynes), sollten wir uns darauf konzentrieren, auszuarbeiten, warum Keynesianismus nicht im Interesse der Großkonzerne ist und somit auch nicht stattfinden wird ohne massive Klassenkämpfe, für die viele Arbeiter wahrscheinlich sogar in die Illegalität rutschen werden. Es werden ja heute schon wieder Arbeiter in den USA verhaftet oder schlimmeres, nur weil sie zu Streiks für höhere Löhne aufrufen. Wenn das aber so ist, dann sollten wir nicht bei Keynes stehen bleiben und über das System hinaus denken. Wir brauchen ein System, in dem es grundsätzlich unmöglich ist, dass Kleinunternehmen zu mächtigen Kollossen heranwachsen, die sich einer demokratischen Kontrolle entziehen. Kartellämter etc. haben offensichtlich nicht ausgereicht, da auch sie korrumpiert werden können (zb durch Regulatory Capture).