wieviel Unwissenheit bei einem recht großen Anteil hier im Forum über deliberative Prozesse (Bürgerparlamente, Bürgerräte, etc.) herrscht ...
@1 Im Gegensatz zu einem Parlament, wo über mindestens 4 - 6 Jahre tatsächlich immer die selben Leute drinnen sitzen, sitzen in einem Bürgerrat eben nicht immer die selben drinnen. Es mag durchaus am Anfang Situationen gegeben, wo sich manchmal einige bekannte in den Bürgerräten wieder finden. Doch durch den Losprozess und durch weitere Verbreitung sowie Verständnis, was in dem Prozess passiert, wird das Interesse steigen und die Basis der Menschen, die nach der Auslosung daran teilnehmen wollen, vergrößert. Durch mehrere Parallel geführte Räte/Parlamente/deliberative Prozesse wird das schon mal ausgeschlossen.
@2 Vergleich mit Geschworenen. Ja den kann man durchaus ziehen, was die Besetzung angeht. Und ja es wird dabei anfangs genug geben, die daran nicht teilnehmen wollen. Aber auch hier sträuben sich genug, z.B. Migranten, erster oder sogar zweiter Generation, die vorgeben kein Deutsch zu können, da sie den Sinn eines Geschworenenprozesses nicht verstanden haben (ist aber auch "Einheimischen" so, nur können die sich schwerer rauswinden). Und auch bei der Geschworenen Auswahl, passieren "Fehler". Denn per Gesetz darf eine Person nur einmal in einem bestimmten Zeitraum zu einem Prozess geholt werden. Ich kenne persönlich jemanden, der in der Zeit sogar 3x zu verschiedenen Prozessen einberufen wurde.
@3 Die Ausgewählten fehlen eben nicht in der Arbeitswelt, da die Zusammenkünfte ausschließlich am Wochenende oder max. 1 Arbeitstag in der Woche (eher gegen Ende der Woche) stattfinden. Wenn die Zeitrahmen entsprechend gewählt sind, dann sind das auch nicht alle Wochenenden in dem Zeitrahmen des Prozesses, sondern es sind max. 2 Wochenenden im Monat eher aber nur eines.
@4 Repräsentativität entsteht schon dadurch, dass man, je nach Gruppengröße, de zusammenkommt, Tatsächlich einen Querschnitt der Bevölkerung haben kann, wenn man auch alle Gruppen (Alter, Profession, Einkommen, Wissensstnd, Ausbildung, etc. usw.) einbezieht. Somit ist das weit repräsentativer als die Zusammensätzung der jeweiligen Parlamente auf Länder- oder Bundesebene.
@5 Indoktrination ist bei einem ordentlich aufgestellten Bürgerrat/-parlament genau nicht gegeben. Denn wenn die "Veranstalter" tatsächlich so viele Sichtweisen wie möglich in der Lernphase für die Teilnehmer einbringen wollen, dann werden sie aus jeder Ecke, die das Thema nur im mindesten streift, Vortragende in den Prozess holen. Bei Parteiengesprächen hinter verschlossenen Türen, haben max. Lobbyisten Zutritt, aus goodwill mnchmal NGO, wobei deren Sichtweise nur dann berücksichtigt wird, wenn das Kartenhaus der Lobby und der Politik zusammenzubrechen droht.
Man kann, wenn gewünscht, noch 10 - 15 Punkte zusammenschreiben. Ich empfehle aber in dem Fall den OECD Bericht von 2020 bzgl solcher deliberativen Prozesse zu lesen. da hat man sich knapp 300 solcher Prozesse und verschiedensten Modelle angesehen und analysiert. Gerade die ersten 4 Kapitel sind relativ leicht zu lesen und sehr anschaulich.
Ist auf der OECD Seite Kostenfrei zu lesen:
https://www.oecd-ilibrary.org/governance/innovative-citizen-participation-and-new-democratic-institutions_339306da-en