Ansicht umschalten
Avatar von 1FC
  • 1FC

mehr als 1000 Beiträge seit 02.02.2011

Mittel und Zweck?

Lieber David Goeßmann

Alle Rechte, die wir heute genießen, sind ohne zivilen Ungehorsam nicht denkbar. Menschen haben dafür mutig bestehendes Recht gebrochen und Gehorsam verweigert. So sind Arbeiterrechte, Abschaffung der Sklaverei und der Apartheid, Frauenrechte und auch Umweltschutz erkämpft worden

Um eins direkt klarzustellen: Das sehe ich genauso. Und ich bin auch der Meinung, daß der hemmungslose Raubbau an der Natur aufhören muss. Denn das ist nun mal unser aller Lebensraum.
Umbrüche oder „Zeitenwenden“ wie man ja heutzutage so schön sagt, erfolgten in der Regel nicht durch einen übergebenen Wunschzettel, sondern mussten zumeist erkämpft werden. Mitunter auch blutig, besonders wenn es um gewisse (Grund-)Rechte ging und geht.
Gleichzeitig gingen diese aber oftmals einher mit der Mobilisierung der Bevölkerung bzw. mit Hilfe von „außen“.
So wurden die Aufstände der Sklaven in den USA regelmäßig blutig beendet. Spätestens wenn das Militär hinzu kam. Erst der Bürgerkrieg mit dem siegreichen Norden beendete mit deren Hilfe die Sklaverei letzten Endes.
Die eingesetzten Mittel führten ursprünglich leider nicht zum Zweck, erst als die Mittel sich änderten erfolgte der Umbruch.

Was will ich damit sagen?

Sie fordern u.a. ein Tempolimit und bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr.

Soll das ein Witz sein? Das nennst du Ziele für zivilen Ungehorsam (hier: Stau verursachen)? Um im gleichen Atemzug Sklaverei, Arbeiterrechte und Frauenrechte anzuführen?
Ok. Dann lass uns doch einfach den iranischen Frauen sagen sie sollen sich irgendwo hinkleben, dann wird das schon.

Ich brauche hoffentlich nicht betonen, daß ich das jetzt extra überspitzt provokativ formuliert habe.

Zum Protest:
1. Da lese ich zunächst Tempolimit. Ok. Altes Thema, langweilig. Ungeeignet Emotionen zu wecken. Ich verstehe natürlich die Zusammenhänge und den Zweck, kann ich als Autofahrer (beruflich angewiesen) der hauptsächlich in der Kölner Gegend unterwegs ist aber nur schmunzeln weil man hier eh nirgendwo schnell fahren kann (einfach zu viel Verkehr).
Das heisst, um das Ziel zu erreichen kleben sich Menschen auf die Strasse um diejenigen zu bestrafen die eh den ganzen Tag im Stau stehen und i.d.R. unter Zeitdruck stehen.
Was, wenn ich z.B. mit dem E-Auto fahre, das ich über meine eigene Photovoltaik Anlage lade? Wo verschwende ich da Öl?

2. Bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr
Super Idee, absolut dafür. Auch hier verstehe ich den Hintergrund. Vom Auto auf die Bahn, zu einem Preis der das auch attraktiv macht. Joa, klingt gut. Top.
Was, wenn ich sage daß durch die Bahnreform Anfang der 2000er sämtliche Bahnstrecken weggefallen sind. Selbst ein Gratisticket hilft da in ländlicheren Gegenden nicht.

Fazit:
Inhaltlich, d.h. in der Sache stehe ich hinter jedem der sich für den Erhalt unserer Natur einsetzt. Auch hinter dem Protest dafür.
Aber das ist doch kein Protest!
Das ist eher wie das Kleinkind das sich an der Kasse auf den Boden wirft um unbedingt noch einen Kaugummi zu bekommen, während dahinter die anderen alle genervt warten.

Einen Protest, den ich alleine nie gewinnen kann (s.o. Sklaven) benötigt Hilfe von außen. D.h. ich muss die Leute die ich anspreche mit ins Boot holen (hier: Autofahrer).
Ich muss Emotionen wecken (Tierschutz macht das super finde ich).
Ich brauche Themen die wachrütteln. Tempolimit z.B. ist doch durch (wird sich eh von alleine regeln, s.o.).
Ich muss den Leuten klarmachen worum es geht. Fossile Brennstoffe ist doch nur ein Puzzleteil.
Was nutzt es mir z.B. wenn das Palmöl für das Hektarweise Regendwald in Süd-Ost-Asien plattgemacht wird irgendwann mit einem Wasserstoffboot um den halben Globus gefahren wird? Der Wald wird doch trotzdem weiter abgeholzt…

Dann brauche ich eventuell z.B. auch prominente Mithelfer für die Influencer und Dingsbumms Generation. Keine Ahnung wie man die jüngeren da ins Boot holt. Oder Mithelfer aus der Industrie wäre noch besser.
Woodstock, Live Aid und so was waren z.B. weltweit beachtete friedliche Proteste. Es hilft dabei natürlich auch nicht, wenn dann jemand wegen seiner Frisur (Dread Locks) zensiert wird. Da muss man sich schon überlegen, was ich eigentlich will. Sobald man Menschen nämlich vorschreiben möchte was sie zu meinen haben, wird sich auch keiner finden der „von außen“ mithilft.

Kurzum: Ja, ich verstehe das Ziel. Ja, ich unterstütze auch das Ziel!

Diese Proteste sind meiner Meinung nach jedoch kein „ziviler Ungehorsam“, sondern eher ziviler Unfug mit Eventcharakter. Das gleichzusetzen mit blutigen Arbeiterkämpfen ist schon sportlich. Die ausgelutschten Themen holen auch keinen hinterm Ofen vor. Zumindest nicht so.

Ich empfehle diesbezüglich die eingesetzten Mittel zu überdenken. Um Ziele friedlich zu erreichen bedarf es einer Strategie. Was genau will ich damit erreichen? Nur ne Pressemitteilung oder auch ein Umdenken?

Das wichtige Thema verliert so nämlich meines Erachtens nur unnötig Zeit und Kraft der Aktivisten.

Viel Erfolg, Baxter

Bewerten
- +
Ansicht umschalten