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  • Stephan Geue

mehr als 1000 Beiträge seit 07.08.2011

Schuld vs. Verantwortung; Vogelschisse

Es lebt kaum noch jemand von denen, die in WK2 schuldig geworden sind. Ich gehöre nicht zu jenen, die Schuldzuweisungen verteilen, auch nicht zu jenen, denen eine solche persönlich kassierte Schuldzuweisung den nächtlichen Schlaf raubt.

Ich bevorzuge es (als ebenfalls in den 60ern Geborener), in diesem Zusammenhang von Verantwortung zu sprechen, und ich gestehe: Ich werde dieser Verantwortung nicht gerecht. Ich bin fast noch nie auf einer Demo gewesen, noch nie auf einer Gegendemo. Ich war immer irgendwie nicht dabei, wenn irgendwo Nazis aufmarschiert waren oder randaliert oder irgendwo ihre "Kunst" auf Mauern gesprüht haben, wenn Leute belästigt, bedrängt oder gar vom NSU ermordet wurden. Permanent abwesend, bedauernd, in Sorge, aber inaktiv. Asche auf mein Haupt! Ich könnte den Vorwurf der Feigheit zurückweisen, denn stets habe ich davon erst im Nachgang erfahren, aber ich gestehe: Ich hätte tatsächlich die Hosen voll, wenn ich schon vorher davon mal erführe.

Gauland kann erzählen, worüber er will. Wenn jemand eine Sache als Fliegenschiss bezeichnet, dann will er damit nicht zum Ausdruck bringen, dass es Scheiße ist, wenn auch vielleicht nur eine kleine, sondern er will sagen: Solche Dinge passieren. Kann man nicht ändern. Kommt vor. Und im Grunde hat er damit ja sogar Recht. Sie SIND passiert, man KANN sie NICHT mehr ändern, und Völkermord ist zwischen 33 und 45 nicht zum letzten Mal passiert. Man kann sogar konstatieren, dass der Kapitalismus seit 1945 allein in militärischen Konflikten mehr Menschenleben gefordert hat als der WK2, also auch als die Shoa. Man kann mit einiger Sicherheit behaupten, dass die Art und Weise, in der etwa die Roten Khmer ihre Opfer umbrachten, kein bisschen humaner war als das, was die Nazis mit den Juden taten - insofern ist die Behauptung, die Shoa sei unvergleichlich, ein Ideologem, denn sie ist wohl einzigartig, aber kann durchaus in Vergleichen eingesetzt werden, womit ich ausdrücklich keine Gleichsetzungen meine.

Zwölf Jahre in Hunderten Jahren deutscher Geschichte sind wenig. Ob man da pauschal von Vogelschissen reden können sollte, das sollen Historiker beurteilen. Ich habe das Gefühl, dass man das nicht kann. Es soll in Jerusalem kurz nach Beginn der Zeitrechnung ein Ereignis gegeben haben, das sich so quasi über drei, vier Tage erstreckte. Zuvor vergingen Monate, vielleicht sogar ein, zwei Jahre, in denen "es" sich entwickelte, über die kluge Denker schon in deren Verlauf gesagt hätten, dass das kein gutes Ende nehmen werde, weil sich da jemand mit einer Großmacht anlegt. Und dieser "Vogelschiss" prägt seither die religiöse Struktur dieser Welt. Also halte ich es für unangebracht, von zeitlich kurzen Ereignissen einfach aufgrund der zeitlichen Kürze als von einer Petitesse zu sprechen. Das ist unangebracht, und wenn man es doch tut, ist das dumm.

Möglicherweise wird mir mein Text als Antisemitismus ausgelegt. Natürlich wäre das Quatsch, denn ich habe nichts Judenkritisches, schon gar nichts Judenfeindliches, noch nicht einmal etwas Israelkritisches geschrieben. Aber die Shoa als vergleichbar zu beschreiben gilt manchen Menschen ja bereits als Todsünde.

Was Gauland will - und mit ihm viele andere -, ist ein Schlussstrich. Er möchte nicht mehr daran erinnert werden, dass er in einer Erbenverantwortung steht. Er möchte die Dinge gestalten, wie es ihm beliebt, die Freiheit haben, dabei neue Fehler zu machen. Solche Freiheit möchte man einem erwachsenen Menschen zugestehen, zumal, wenn er sich nichts selbst hat zuschulden kommen lassen. Aber es gibt im gesellschaftlichen Leben Anlässe, bei denen eine Gemeinschaft beschließt, Geländer an Abgründen zu montieren, wo einmal zu oft Menschen abgestürzt sind. Wenn das dazu führt, dass ein zusätzliches Geländer gebaut wird, um das Geländer zu schützen, dann sind wir dort, wo eine offene Debatte um die Verantwortung für das von Deutschland ausgegangene Leid in der Welt nicht mehr möglich ist, weil jeder Deutsche, der eine solche Debatte initiiert, sogleich der Verharmlosung verdächtigt wird, und in diesem Zusammenhang gilt Relativierung bereits als Schuldspruch. Dabei ist Relativierung eigentlich nichts anderes als die Einordnung, als Gegenüberstellung, als ein Vergleich.

Deutschsprachige Sender, die (US-)amerikanische Militärtechnik oder US-Unilateralismus oder US-Hegemonie verherrlichen, sind Propagandainstrumente des Imperiums. Verherrlichung ist ohnehin ein Vorgang, der einem humanistischen Weltbild fremd sein sollte.

Deutsche Soldaten im WK2 als Dummköpfe hinstellen...? Ich weiß es nicht. In der zeitlichen Distanz sagt sich das leicht, denn man kann natürlich argumentieren, dass ein geografisch kleines Land wie Deutschland, das sich so nach und nach mit der ganzen Welt anlegt - und was anderes bedeutete denn die Ankündigung "über alles in der Welt" (auch wenn die Hymnen anderer Länder mitunter sogar bis heute im Blut waten mögen)? -, keine Aussicht auf dauerhaften Erfolg hat, zumal, wenn dem GröFaZ seine eigenen Strategen bereits vor 1939 anderes geraten haben. Also war es wohl dumm, so jemandem zu folgen und für so jemanden in den Krieg zu ziehen. Das musste tödlich oder in der Gefangenschaft oder zumindest mit einer großen Demütigung enden. Aber sie zogen ja nicht alle freiwillig; viele glaubten, wesentlich schlechter informiert, als wir heute es sein können, das sei nur ein großes derbes Spiel (für Deutschland), von dem sie selbstverständlich mit einem großen Fundus an Abenteuergeschichten unversehrt zurückkehren würden. - Das können wir heute als dumm bezeichnen. Aber ich rate allen, die das tun wollen, einmal in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen, wie viel ihrer Position in der heutigen Welt vom Wesen eines Lamms und vom Ort der Schlachtbank entfernt ist. Auf dem Grand Chessboard sind wir allerhöchstens Bauern.

> Du kannst das nicht, Du folgst ohne die Fakten analysiert zu haben der Argumentation derer, die Deine Kohle haben möchten.

Was Sie meinen, was ich kann und was nicht, ist ganz allein Ihr Bier.

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