Obwohl das Fazit, bei allen zumindest überwiegend stichhaltigen Argumenten, nicht so eindeutig ist, wie es klingt.
Gesetzt den Fall, in Britannien würde zunehmend die Corbyn-Haltung populär. Zusammen in der bestehenden EU bleiben, aber diese sobald wie möglich richtiggehend umkrempeln, hin zu dem, was Merkel so zynisch verneinte: zu einer Sozialunion, einer Staatengemeinschaft mit garantierten Sozialstandards (was im Grunde die sofortige Abkehr vom Dogma, keine "Transferunion" sein zu wollen, erzwingen würde – wenn schon der Bundesstaat Deutschland nicht ohne Länderfinanzausgleich existieren kann, ja ohne ihn längst zerbrochen wäre, wie soll das bei einer EU funktionieren, in der ein noch viel größeres Gefälle existiert).
Gesetzt den Fall, in immer mehr EU-Staaten bekämen diese Kräfte nationale Mehrheiten und würden zunehmend Mehrheiten im EU-Parlament stellen. Wäre da nicht eine bessere EU zumindest denkbar, ohne vorherige Austritte einzelner?
Ja, ich weiß, die Chance sehe ich auch nicht als besonders groß an, aber ganz vom Tisch wischen würde ich sie nicht.
Zumal Suchsland natürlich die ökonomischen Folgen des Brexit unterschlägt.
Zu Recht redet er von einem "diffuse[n]" Gefühl, "dass das, was gut für die Wirtschaft, für die Börse, für die Konzerne und für die Reichen ist, gerade nicht gut ist für den ganzen Rest" – nun sind, so zweifelhaft auch manch seriösere Art der Beschäftigung mit Wirtschaft noch immer sein mag, Gefühle, zumal diffuse, im Zweifelsfall leider oft der schlechteste Ratgeber. Denn während da natürlich was dran ist, dass das, was für die Wirtschaft gut war und ist, tatsächlich jetzt seit Jahrzehnten immer weniger bei dem ganzen Rest noch irgendwie zu Verbesserungen führte, ist der Umkehrschluss nicht gültig. Was für die Wirtschaft schlecht ist, ist innerhalb des weltweit herrschenden Wirtschaftssystems notwendig auch schlecht für den "ganzen Rest", denn es verkleinert den Kuchen, von dem sich dieser selbst theoretisch noch etwas abschneiden kann.
Konkret sieht das zum Beispiel so aus, dass ein Brexit, auf den dann womöglich auch noch britische Beschlüsse zur Einhegung der eigenen Nationalökonomie folgen würden, wie etwa Zölle und andere Einfuhrerschwernisse, sich unmittelbar und spürbar negativ auf die deutschen volkswirtschaftlichen Gesamterträge auswirken würde, weil Britannien nun mal das drittgrößte Einfuhrland für deutsche Waren ist, nach USA und Frankreich.
Wenn man sich eine neue Verfasstheit einer europäischen Ländergemeinschaft wünscht, wäre zwar in der Tat ein erstrebenswertes Ziel, diese Gemeinschaft vom Erbe der EU in ihrer früheren Gestalt der EWG, einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft, zu befreien, und sozialen Fragen, Fragen der Wohlstandsverteilung und der Existenzsicherheit den Vorrang zu geben vor den aktuellen Dogmen à la Freihandel über alles, nur wird das Ganze auch weiterhin unter den Bedingungen eines weltweit herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht ohne fortgesetzt weiterbetriebene erfolgreiche Profitmaximierung der Wirtschaftsbetriebe der Mitgliedsländer funktionieren, denn auch weiterhin kann nur das die notwendigen wirtschaftlichen Bedingungen dafür herstellen, dass alle gut zu essen haben, bzw. nach Möglichkeit natürlich ein noch darüber hinausgehendes Niveau an Wohlstand.
Das jedoch ist der eigentliche Skandal, zumal eine für Gesamtbevölkerungen ausreichende Wertschöpfung auch in der EU tendenziell immer weniger gelingt. Dem allerdings will auch weiterhin niemand abhelfen. Denn das Weltbetriebssystem ist ja heilig und unantastbar, und sei es noch so erkennbar buggy. Unfixably buggy.
Cheers,
d. d.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (23.06.2016 17:28).