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  • T. McKenna

75 Beiträge seit 23.01.2023

Kalkül des Abnutzungskrieges

In Kharkiv binden derzeit 10.000-12.000 russische Soldaten seit nunmehr über einem Monat über 30.000 ukrainische Soldaten (Siehe die "Deployment map" von Military Land). Die Ukrainer gehen hier auf Grund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit in die Offensive, werden aber durch den ausgiebigen Einsatz an Gleitbomben und Artillerie seitens der Russen stetig aufgerieben (Laut Selensky werfen die Russen nunmehr 3000 Gleitbomben im Monat auf ukrainische Ziele. Nicht wenige davon landen u.a. in Vovchansk). Für die Ukrainer wäre es notwendig, die Russen hier möglichst rasch über die Grenze zurückzudrängen, damit ihre Unterlegenheit bei Artillerie, Gleitbomben und mittlerweile auch FPV-Drohnen nicht auf längere Sicht zu hohen Verlusten beim Material und den Soldaten führt.

Die Strategie der Russen wird durch den Angriff in Kharkiv sehr deutlich: Verlängerung der Frontlinie mit begrenzten Kräften, dadurch das Binden ukrainischer Kräfte und Verwicklung in intensive Kämpfe, daraus resultierende Beschleunigung der "Abnutzung" des Feindes, dadurch gibt es weniger ukrainische Kräfte im Donbass (das Hauptaugenmerk der Invasoren) wo die Russen langsam aber stetig vorrücken.

Hatten die Russen zu Beginn des Krieges noch knapp 190.000 Mann in der Ukraine, sind es nun über 510.000 (Putin spricht sogar von 700.000) (https://www.rusi.org/news-and-comment/in-the-news/russia-masses-huge-510000-troops-ukraine-frontline-expert-sends-bleak-warning). Trotz aller Verluste haben die Russen ihre numerische Kampfkraft seit Beginn des Krieges demnach beinahe verdreifacht...
Sowohl einige Foristen hier als auch westliche Medien weisen immer wieder auf die "horrenden Verluste" der russischen Armee hin. Zwar widerlegen selbst die Statistiken russischer oppositioneller Exilmedien wie Meduza oder Mediazona, dass die derzeitigen Verluste der russischen Armee höher sind als 2022 oder gar 2023, aber selbst bei angenommenen hohen Verlustraten attestiert der britische Geheimdienst den Russen, dass diese 30.000 Mann im Monat rekrutieren würden und damit ihre Verluste bei den Soldaten ausgleichen könnten (https://euromaidanpress.com/2024/03/30/uk-intel-russia-recruits-30-000-fresh-troops-every-month-to-fight-ukraine/).

Russland wird diesen Krieg noch einige Jahre fortsetzen können. Ob die Ukraine dazu im Stande ist, wage ich stark zu bezweifeln. Die Straßen in der Ukraine sind zunehmend (laut Video-Berichte ukrainischer Zivilisten) seit dem neuen Einberufungsgesetz von Männern verwaist, und die ukrainischen Telegramm-Gruppen, in denen sich die Teilnehmer gegenseitig mit Bildern und Ortsangaben vor Einberufungsbediensteten und deren Standort warnen, haben seit Anfang des Jahres erneut starken Zulauf erhalten (einige haben mehrere hundertausend Mitglieder). Dazu kommen die unzähligen im Netz zirkulierenden Videos von Männern, die von Armeeangehörigen in SUVs gezerrt werden... Die Freiwilligenmeldungen des ersten Kriegsjahres sind längst versiegt und mit unmotivierten und zahlenmäßig unterlegenen Soldaten wird es die Ukraine schwer haben, noch lange durchzuhalten.

Letztendlich droht die Ukraine mit einem Fortsetzen des Krieges mehr und mehr Gebiete an die Russen zu verlieren, ihre Verhandlungsposition wird dadurch immer schlechter. Der Vorsitzende des Generalstabs der US-Armee Mark Milley sollte mit seinen Aussagen vom September 2022 recht behalten, als er nach den ukrainischen Erfolgen in Cherson und Kharkiv bei einer Pressekonferenz sagte, dass die Ukrainer aus dieser Position der Stärke umgehend mit Russland verhandeln sollten. Das war kurz nach der Mobilmachung der 300.000 Mann durch Putin. Miley wusste, dass die Rückeroberungen in Cherson und Kharkiv der militärische Höhepunkt der ukrainischen Armee in diesem Krieg sein würden, nachdem Putin signalisiert hatte, dass er sich auf einen längeren Krieg einstellte. Allein der Wille im Westen fehlte, um dieser militärischen Einschätzung des us-amerikanischen Generalstabs auch politische Taten folgen zu lassen.

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