Ich halte diese Differenzierung für sinnvoll und zutreffend. Allerdings sind die Begriffe m. E. erklärungsbedürftig, weil sie oft missverstanden werden.
konservativ:
Der Begriff wird oft als "rückständig" übersetzt. Tatsächlich bezeichnet "konservativ" eine Herangehensweise, bei welcher Änderungen eines Anlasses sowie eines gewissen Nachweises, dass eine andere Lösung besser sei, bedürfen.
progressiv:
Wird häufig mit "fortschrittlich" übersetzt. Meines Erachtens bezeichnet "progressive" eher eine Grundhaltung, bei welcher als veraltet, lästig oder falsch empfundene Zustände relativ schnell zugunsten des Einlassens auf neue Ideen aufgegeben werden.
Nehemen wir die Energiepolitik als Beispiel:
Konservativ wäre es, neue Energien zunächst auszutesten und Schritt für Schritt zu sehen, welche Probleme und Implikationen dies mit sich bringt. Erst dann wird ggfs. das bisherige System der Energieversorgung aufgegeben.
Progessiv ist es, auf einem way of no return die komplette Energieversorgung unzustellen, weil man meint, mit seinem Verstand und der Klarheit seiner Idee alles bereis durchdrungen zu haben.
Insofern sehe ich im Konservatismus eine Grundhaltung, die Zweifel zulässt und deshalb immer neuer Überzeugung in der Praxis bedarf. Dass dadurch nicht eine rückständige Gesellschaft entsteht, beweist m. E. das 19. Jahrhundert. Die Menschen waren sicher eher konservativ eingestellt, aber trotzdem hat diese Periode gewaltigen technischen und zivilisatorischen Fortschritt in Europa geschaffen.
Natürlich kann Konservatismus auch zu Erstarrung führen, insbesondere bei denen, welchen der Zustand zugute kommt. Als geschichtliches Beispiel möchte ich die Zeit der Restauration in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nennen, als die Herrscher jedes Freiheitsstreben ihrer Bürger zu unterdrücken suchten.
Die Unterscheidung in konservativ und progressiv ermöglicht es, sich von rechts-links-Ideologien zu lösen und Eigenschaften von Politikern oder Entscheidungen verständlicher einzuordnen. Beispielsweise erlaubt diese Differenzierung zu beurteilen, ob ein progressiver Politiker ohne jede Sachkenntnis gewählt werden sollte. Wäre er konservativ, müsste man nicht die gleichen negativen Auswirkungen seiner kenntnisfreien Entscheidungen befürchten.
Andererseits gilt vielleicht nach der militärischen Erkenntnis: "In Gefahr und großer Not, bringt der Mittelweg den Tod.", dass ein sehr koservativer, zögerlicher Politiker nicht der richtige sein kann.
Ich finde, die rechts-links-Unterscheidung ist weithin überholt und dient nur Ideologen. Praktikabel ist er die Unterscheidung nach Luhmann.