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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Re: Selbstverständlich gibt es auch Kosmologien, ...

Stellen Sie sich einmal vor – was Ihnen angesichts Ihrer bereits angedeuteten Kenntnisse moderner Quanten- und Teilchenphysik sicher nicht schwerfallen sollte –, daß all die Begriffe und Kategorien, die wir verwenden, um zwischen Materie und Energie zu unterscheiden, trotz aller wissenschaftlichen Belege und Meßergebnisse von Anfang an willkürlich waren. Nicht willkürlich in dem Sinn, daß da irgend ein vorwitziger Vorfahre einfach etwas festgelegt hat, sondern im Zusammenhang mit unseren ganz speziellen Sinnen, die sich evolutionär so herausgebildet haben, daß sie unser Überleben sichern.

Laut Einstein, der erkannt hat, daß Materie und Energie im Grunde dasselbe sind, und laut den Erkenntnissen moderner Teilchenforscher gibt es eigentlich gar keine Materie, auch keine Teilchen, denn bislang haben sich alle angeblichen Teilchen bei näherer Betrachtung hauptsächlich als mit Energie gefüllte oder durch Energiefelder abgegrenzte Leere herausgestellt, bis zu immer noch kleineren Teilchen, die bei genauerer Betrachtung wiederum nur Leere und Energie aufweisen. Man könnte also durchaus sagen, Materie und Energie sind insofern willkürliche Abgrenzungen, weil sie sich lediglich unseren Sinnen so darbieten.

Da wir nach diesem Modell selbst aus reiner Energie bestehen und da es nach diesem Modell Materie als vom Phänomen Energie getrennte Erscheinung nicht wirklich gibt, stellt sich die Frage, wie wir überhaupt erst auf das Materie-Konzept gekommen waren. Tatsächlich kam der Mensch zuerst auf das Materie-Konzept, auf die Idee des stofflichen Gegenstandes, weil das seinen Sinnen entsprochen hat, mit denen er nur ein klitzekleines Spektrum der ihn umgebenden Energiefelder wahrzunehmen in der Lage war. Das Materie-Modell dient also eher der Handhabbarkeit alltäglicher Anforderungen als dem Erkennen letztendlicher Realitäten. Wir können gar nicht anders als Modelle zu bauen und diese dann betrachten. Wir sehen immer nur die Modelle, die wir bauen, auch wenn sich durch zahllose Übereinkünfte in der Vergangenheit bestimmte Dinge von allen Menschen mehr oder weniger gleich wahrgenommen werden. Was geschieht denn, wenn ein Mensch, sagen wir ein kleines Kind, Dinge wahrzunehmen behauptet, die ein Erwachsener nicht sieht? Man zwingt das Kind auf freundliche oder unfreundliche Weise, von dieser Wahrnehmung abzulassen, andernfalls überläßt man es früher oder später einem entsprechenden Therapeuten, der diesem Kind seine unerwünschte Wahrnehmung auszutreiben weiß.

Das Modell als solches ist nicht wirklich etwas Gegenständliches, sondern im Grunde ein virtuelles Ding, das in unserem Kopf beheimatet ist, in der Codierung durch die Verknüpfungen unserer Gehirnzellen, soweit wir bis heute "wissen". Alles was wir wissen, ist auf dieser Landkarte in unserem Kopf symbolisch "verdrahtet", ja, es ist diese Landkarte, die unser Wissen darstellt, unser Wissen ist. Das physische Wie bis hinunter zu den Atomen oder Teilchen oder Wellen interessiert uns bei der Anwendung unseres Verstandes, unserer Landkarte nicht wirklich, denn es bringt uns bei der Bewältigung unserer Alltagsanforderungen keinen brauchbaren Erkenntnisgewinn. Wir als in dieses System Eingebundene, mit diesem unserem ureigensten System auf Engste verwobene Wesen sind mehr darauf angewiesen, das System als solches gut zu verstehen, also unsere Psyche gut zu kennen, um es optimal nutzen zu können. Sobald wir damit anfangen wollten, tieferliegende Grundlagen unserer Existenz zu begreifen – nicht daß ich davon abraten wollte, wer's braucht –, begeben wir uns in die Situation des Auges, das versucht, sich selbst zu erblicken. Wir wissen, daß wir uns nicht selbst sehen, wenn wir in einen Spiegel blicken, sondern das Spiegelbild, eine Reflektion. Aber wir haben gelernt so zu tun, als seien wir das, auch wenn wir ein Foto betrachten und ausrufen: Das bin ja ich!

Beruht nicht eigentlich alles, was wir überhaupt zu erblicken vermögen, auf einer Reflektion, auch das, was wir hören, was wir schmecken, riechen und ertasten? Alles, was wir wahrzunehmen in der Lage sind, wird uns über Sinnesreize vermittelt. Daher gibt es keine unmittelbare Wahrnehmung, sondern nur vermittelte, aus erlernten Interpretationen produzierte Bilder, Vorstellungen.

Die Signale, die vom Sinnesorgan zu den jeweiligen Nervenzellen im Hirn gelangen, sagen überhaupt nichts darüber aus, welche Bilder sich letztlich in unserer Vorstellungswelt manifestieren. Ein Auge, das sich erst nach Jahren der Geburt öffnet, kann uns nicht mehr mit den Sinnesreizen versorgen, die ein inneres Bild erzeugen, weil das Entwicklungsfenster, um die entsprechendne Hirnstrukturen, die entsprechenden Interpretationsmuster auszubilden, längst vorbei ist. Nicht das Auge erzeugt die Bilder, sondern das Gehirn. Die Art und Weise, wie das Gehirn das macht, ist erlernt, nicht angeboren. Angeboren ist lediglich das Betriebssystem, um eine Analogie aus der IT zu verwenden, nicht aber das spezielle Programm, wohl aber die Fähigkeit, überhaupt Programme entwickeln zu können. Auch Kinder, die die ersten Jahre in Dunkelheit verbringen, lernen später nicht mehr zu sehen, weil die Plastizität des Gehirns mit zunehmenden Alter einfach abnimmt, das ist wie das Gerinnen flüssigen Glases, rückwärts wieder zur Verflüssigung würde alle bisherigen Eindrücke, alle bislang hergestellten Verknüpfungen löschen.

Das heißt letztendlich, daß wir auf die eine oder andere Weise lernen, die Dinge so und so oder so wahrzunehmen. Sie haben sehr schön dargelegt, daß Mitglieder anderer Kulturen andere Wahrnehmungsmuster entwickeln. Genau darauf will ich hinaus. Manche Menschen können die Anwesenheit anderer Menschen erspüren, obwohl sie gar nichts von denen hören oder sehen. Blinde hören Geräusche, die Sie als Sehender nicht warhnehmen können, von Geburt an blinde Menschen erreichen damit eine Wahrnehmungsschärfe, die später erblindete Menschen nicht erreichen können. Manche Menschen riechen ihre Umgebung regelrecht, Hunde bilden aus den Signalen des Geruchsinnes ebenso lebhafte Bilder wie wir Menschen aus den Signalen des Gesichtssinns. Es gibt Berichte von Menschen, die bestimmte Energien wahrnehmen können, die anderen entgehen. Ja, es gibt sogar Belege dafür, daß z.B. die kaum erklärbaren Phänomene bei gewissen Aufstellungstherapien, wo wildfremde Menschen wie aus dem Stegreif Zutreffendes über einen anderen, von dem sie einen seelischen Anteil zu repräsentieren ausgewählt wurden, mitzuteilen wissen. Man vermutet, daß die Energiefelder des Herzens, die nachgewiesenermaßen starken Anteil am vorherrschenden Gefühlszustand bzw. -prozesses haben, von anderen, in der Nähe befindlichen menschlichen Herzen irgendwie wahrgenommen werden und sich Menschen, die auf eben diese Signale hören, weil sie sich entschieden haben, diesen Teil ihres Mitmenschen für eine kurze Weile zu repräsentieren, halb unbewußt richtig interpretieren, ja oft sogar in genau die Stimmung verfallen, die der Patient gerade abzuwehren im Begriff ist.

Es gibt Menschen, die bemerken, wenn man sie von hinten anstarrt, wenn sie heimlich beobachtet werden. Ich glaube, nein ich bin davon überzeugt, daß wir Menschen noch weitaus mehr wahrnehmen könnten, wenn wir nicht so stark an unsere Großhirnrinde gebunden, regelrecht gefesselt wären. Unser Verstand ist, wenn man genau hinhört, den ganzen lieben langen Tag am Plappern und übertönt damit, weil wir da auch ständig hinzuhören gelernt haben, alle anderen, zarteren und leiseren Impulse, die versuchen, unser Bewußtsein zu erreichen. Das mag Ihnen jetzt vielleicht esoterisch-aluhutträgermäßig erscheinen, okay, dann ist das eben so und unser Dialog hätte sich damit erledigt.

Gegen den offensichtlichen Eifer, mit dem Sie im Grunde alles, was nicht meßbar ist, leugnen bzw. als nicht real darzustellen suchen, kann ich nur einwenden: Es gibt Fakten und Tatsachen, die sind tatsächlich nicht meßbar. Ihr Wohl- oder Unwohlgefühl, Ihr Schmerz (ja, es gibt Skalen, da trägt man das Ausmaß des Schmerzes ein, aber was sagt das schon?), Ihre Traurigkeit – Sie selbst können ermessen, ob sie gerade sehr traurig oder nur ein wenig traurig sind, aber das ist kein absoluter Maßstab, der läßt sich nicht mit meinem individuellen Maßstab vergleichen, der wiederum nur für mich gilt. Maßstäbe, die als objektiv gelten, beruhen auf Einigung, auf verabredeter Übereinstimmung, auf erlernter Wahrnehmung – Ihre Ahnungen, ihre diffusen Empfindungen, die Sie noch nicht gelernt haben zu erschließen, ja auch ihre verdrängten oder abgespaltenen Selbstanteile können Sie nicht messen. Sie können Bedeutungen nicht messen, sie können faktische gesellschaftliche oder innerseelische Zusammenhänge nicht wirklich messen – überall und bei jeder Gelegenheit sind Sie auf ein Modell in Ihrem Kopf angewiesen, um überhaupt Realität konstruieren zu können. Ihre ganz persönlichen Konstruktionsmuster existieren nur einmal, die gab es vor Ihnen nicht und die wird es nach Ihnen auch nie wieder geben. Ähnlichkeiten sind nicht Gleichheiten, sind keine Identitäten. Ähnlichkeiten sind gemeinsame Kategorien, in die wir zur Alltagsbewältigung Phänomene einzusortieren gelernt haben.

Wir haben zehn Finger und rechnen daher seit Generationen mit dem Dezimalsystem. Andere Völker haben aus religiösen Gründen lange mit dem Zwölfersystem gerechnet und tun das noch heute. Mathematik ist ein komplexes System aus Übereinkünften. Die Sekunde ist eine willkürlich angenommene Zeitspanne. Die Energiewolke, die wir nicht mit unserem Körper oder anderen greif- und faßbaren, sichtbaren Energiewolken zu durchdringen vermögen, nennen wir Materie. Früher hat man den Wind als Energie, als geisterhafte Erscheinung wahrgenommen – weil man es so von den Eltern, von den Vorfahren übernommen hatte. Später hat man herausgefunden, daß man auch in der Luft etwas Greifbares finden konnte, seither ist der Wind einfach nur bewegte Luft. Die Lehre von den Atomen – dem im antiken Griechenland "erfundenen" letzten Unteilbaren – ist längst durch die Teilchenphysik widerlegt. Auch Atome sind in erster Linie modellhafte Vorstellungen in unserem Kopf. Kein Mensch hat je ein Atom gesehen, es gibt nichts, womit wir Atome oder gar Elektronen zu beleuchten vermögen.

Wir können letztendlich gar nichts anderes wahrnehmen als das, was wir in unserem Kopf an Modellen erzeugen. Die Illusion, das wir Gegenstände sehen würden, kommt dadurch zustande, daß wir die Konstruktion des Bildes, ausgelöst durch die elektromagnetischen Wellen, die auf unsere Sehstäbchen hinter dem Augapfel treffen und via elektrischer Nervenimpulse an das Sehzentrum unseres Gehirn weitergeleitet werden, gar nicht mitbekommen. Für unsere praktische Alltagsbewältigung wäre es auch ziemlich sinnlos, uns diese Vorgänge im einzelnen ständig zu vergegenwärtigen, wir benötigen das Endresultat; die tieferliegenden Aufgaben überlassen wir unserem weitgehend autonom arbeitenden Körper, unseren lebendigen Zellen, die in einer großartigen Symbiose unseren Organismus bilden und aufrechterhalten, einen weitgehend reibungslos arbeitenden und durchorganisierten Staat. Die da auf der tieferen Ebene lebenden Organismen wissen, was sie zu tun haben, um ihren Staat, ihren Organismus durch den Alltag zu lenken. Das sind keine toten chemischen Stoffe, sondern bewußte Lebewesen. Ohne Bewußtsein, ohne Entscheidungsmöglichkeit – lasse ich diesen Stoff durch meine Zellmembran durch oder nicht? – gäbe es kein Leben. Das Leben, das Bewußtsein hat sich nicht erst mit den höheren Lebenwesen entwickelt, sondern war von Beginn an dieser Entwicklung beteiligt. Wir mit unserem armseligen Bewußtsein, das wir gerne für so großartig und einmalig halten, weil wir Narzißten sind, bekommen davon gar nichts mit, sondern schöpfen gewissermaßen nur den Rahm ab, den diese lebendigen Organismen für uns produzieren, wobei wir gewöhnlich diesen "niederen" Lebewesen nur Verachtung entgegenbringen. Ohne all die Bakterien in unsere, Verdauungssystem, die gar nicht zu unserem Körper gehören, die eine völlig andere DNS aufweisen als unsere Körperzellen, würden wir verhungern, elendig an Energiemangel krepieren!

Lesen Sie vielleicht einmal von Bruce H. Lipton das Buch Intelligente Zellen – Wie Erfahrungen unsere Gene steuern und/oder von Jim Baggott das Buch Matrix oder Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Ich versichere Ihnen, das sind keine Blödsinns- oder Esoterikbücher, die von Engeln, Dämonen oder Geistern handeln, sondern von Autoren geschrieben, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen und es sich dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb ab und an gestatten, ein paar außergewöhnliche Sprünge zu wagen. Ich möche an dieser Stelle nicht weiter argumentieren, weil ich Sie erstens nicht überrollen oder überfordern möchte und zweitens aus diesem Versuch schnell ein halbes Buch werden würde und ich zudem langsam aber sicher an meine Koje denke.

irwish.de/pdf/Lipton-Intelligente_Zellen.pdf
irwish.de/pdf/Baggott-Matrix-Wie_wirklich_ist_die_Wirklichkeit.pdf

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