Unsere Sinneswahrnehmung ist - ich hoffe da stehen wir auf demselben Grund - durch die Evolution entstanden. Damit hat sie sich als zweckmäßig erwiesen, uns in einer Welt der Gegenstände möglichst gut leben zu lassen. Für unseren Entwicklungspfad war der besondere Schwerpunkt auf den Gesichtssinn vorteilhaft, sodass wir die Welt vornehmlich als Gegenstände und Licht wahrnehmen. Die Verarbeitung der Sinnesreize zu kategorisierbaren Entitäten im Gehirn hat sich evolutionär genauso gestaltet. Dies Evolutionsargument ist zugleich ein ziemlich schwerwiegender Einwand gegen Gedankenübertragung, denn diese wäre bei der Jagd von Gruppen von erheblichem Vorteil gewesen.
Wie ich bereits betont hatte, ist Wissenschaft mehr als individuelle Sinneswahrnehmung sondern ein gesellschaftlicher Prozess. Er dient gerade dazu, über das hinaus zu gehen, was die individuelle Sinneswahrnehmung mit der dazu gehörigen individuellen Hirntätigkeit vorspiegelt. Wenn Sie sich im Spiegel sehen, dann haben Sie natürlich das instinktive Wissen, dass es sich um Sie selbst handelt, weil Ihnen die Natur ein Bewusstsein Ihres Selbst aus evolutionärer Zweckmäßigkeit mitgegeben hat. Aber zu verstehen, warum der Spiegel so wirkt wie er wirkt, braucht es Wissenschaft, die über die Eigenschaften von Licht in diesem Kontext Theorien gebildet und verifiziert hat.
Das Interessante daran ist, dass die Methode, die mit der Aufklärung in den Naturwissenschaften gefunden worden und nur sehr indirekt mit den Sinnesleistungen verbunden ist, es ermöglicht hat, den Sinnen nicht zugängliche Phänomene aufzuspüren und obendrein zu nutzen. Denken Sie dabei als Beispiel an die Radiowellen, die Sie ganz selbstverständlich nutzen, deren Existenz weder den Römern noch den Chinesen bekannt und mit deren Methodenvorrat auch nicht herauszufinden war.
Hier liegt der entscheidende Punkt: Wissenschaft kann grundsätzlich nicht beweisen, dass etwas nicht ist. Aber durch die Theorie, die sich bei der Erklärung des bisher Bekannten bewährt hat, ist sie in der Lage, noch Unbekanntes zu postulieren und Kriterien anzugeben, es zu finden. Findet man es nicht, so kann man mit sehr hoher Sicherheit sagen, dass es nicht existiert, solange bis eine andere Theorie, die das Bekannte mindesten ebenso gut beschreibt, durch ihre Extrapolation Phänomene postuliert, die dann auch tatsächlich gefunden werden.
Soweit ich sehe liegt der große Unterschied, wie Sie und ich Erkenntnis definieren, darin, dass Sie strikt vom Individuum ausgehen und ich eine Ebene oberhalb des individuellen Wissens als Faktum anerkenne, die das Ergebnis eines strukturierten sozialen Prozesses ist und unabhängig von meinem eigenen Bewusstsein existiert. Die Existenz der von Ihnen benannten Phänomene, die noch nicht Eingang in diesen Bereich gefunden haben, ist selbstverständlich in der Welt Ihres Bewusstseins möglich oder gar vorhanden, aber sie kann mangels einer intersubjektiv austauschbaren Verifikation nicht auf der Ebene von Wissenschaft existieren. Dazu gehörte eine Theorie, die mit den bekannten nicht in Konflikt gerät und durch un-individuelle Anordnung ihrer Elemente eine jederzeitige Wiederholbarkeit garantiert.