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  • Naturzucker

mehr als 1000 Beiträge seit 06.03.2012

Begründungsfindung statt Faktenfindung

Das grundlegende Missverständnis gegenüber der Arbeit unserer Leitmedien beruht auf einer völlig naiven Vorstellung von deren Auftrag.

In der Theorie recherchieren die Journalisten, wiegen die Fakten ab und berichten dann neutral in den Meldungen ihren Rezipienten, was sie erfahren haben. Und versetzen damit die Kunden in die Lage, sich selbst eine Meinung zu bilden.

In der Praxis picken sich Journalisten nur die Fakten heraus, die zu der vorgegebenen Linie passen. Und ignorieren alles andere, was nicht dazu passt bzw. erwähnen dieses nur eindeutig negativ konnotiert. Denn Journalisten unterliegen dem Zwang einer Redaktionslinie, dem Druck der Verlagseigner, sind in Strukturen wie German-Marshall Fund eingebunden und können und wollen gar nicht das Risiko eingehen, dass sich die Bürger selbst eine Meinung bilden. In letzter Zeit hat sich bei bestimmten Themen noch ein missionarischer Eifer dazu gesellt, der, selbsterständlich nur im Rahmen dessen, was das Kapital gestattet, den Journalisten erlaubt, in einem Maximum an Hybris den Meldungen ihren persönlichen Stempel, ihre persönliche Haltung und scheinbare moralische Überlegenheit aufzudrücken.

Die Leitmedien wollen daher gar keine Fakten finden, um sich selbst eine Meinung zu bilden oder ihren Lesern die Bildung einer eigenen Meinung zu ermöglichen. Sie suchen nur nach den passenden Begründungen, die zu der vorgefassten Meinung passen.

Das ist unehrlich und trotz mal wieder von westlicher Hybris. Denn weder die großen Corona-Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen in Österreich, Belgien noch in den Niederlanden sind derart präsentiert worden. Wer sie als Kampf um bürgerliche Freiheiten verteidigte oder gar unterstützte, wurde als "Schwurbler" abgestempelt oder auch von regierungsfinanzierten "Faktencheckern" ins Visier genommen.

Wenn man unterstellt, dass jede Meldung ein politisches Ziel verfolgt und nicht etwa gleiche Maßstäbe und Prinzipien auf vergleichbare Vorgänge angewendet werden sollen, dann ist das kein Widerspruch. Dann ist es im Gegenteil sogar völlig logisch, dass die Leitmedien an China kritiseren, was sie selbst in Deutschland gefordert haben.

Natürlich sind die politischen Rahmenbedingungen nicht zu vergleichen, wie am gestrigen Montag schon mein Kollege Thomas Pany deutlich machte: Sie sind ich China härter und andauernder als bei uns im Westen, dessen Anspruch auf Freiheit in den vergangenen knapp drei Jahren tiefe Risse bekommen hat.

Hätte man hier auf die Hardiner bei der Eindämmung von Corona gehört, dann hätten wir nun vergleichbare Verhältnisse. Es gab unter Merkel in ihrem einseinseitig bestückten Beraterkreis durchaus auch Vertreter wie Melanie Brinkmann, die eine Null-Covid Strategie befürwortet haben. Und auch die anfänglich viel niedrigeren Grenzwerte für Maßnahmen bei Inzidenzen um die 50 gingen ja in diese Richtung.

Am Ende hat uns nur der Förderalismus vor den Auswüchsen der Söders und Brinkmanns bewahrt. Deswegen werden die Leitmedien übrigens nicht müde, bei jeder unpassenden Gelegenheit dieses Förderalismus schlecht zu reden mit dem Ziel, bei der nächsten Pandemie besser durchregieren zu können. Halt so wie in China.

Denn eine Null-Covid Strategie lässt sich nur mit totaler Kontrolle, social scoring, Überwachung, Dauer-Testen, Dauer-Alarmismus und Dauer-Lockdown durchsetzen.

Sobald man aufhört zu testen und zu überwachen, hat man wegen der anfänglich exponentiellen Ausbreitung der Infektion wieder genau den gleichen Zustand wie ohne vorherige Lock-Downs.

Und wenn man sieht, wie schwer es hierzulande den Corona-Hypochondern schwer fällt, die geänderte Ausgangslage zur Kenntnis zu nehmen, dann braucht man sich gar nicht zu wundern, dass ein autokratisches Regime wie China mit noch mehr Borniertheit und Faktenresistenz an dem eingeschlagegen Kurs festhält.

Das ist halt das gute an einer funktionierenden (!) Demokratie. Dass nicht ein einzelner Irrer das sagen hat, sondern sich die politische Macht auf mehrere Schultern verteilt. Idealerweise auch auf die gewählten Volksvertreter in den Parlamenten. Aber diese Kontrollinstanz hat man auch bei uns ja schon weitgehend ausgeschaltet und auf Linie gebracht (Fraktionszwang, Pairing, Probeabstimmungen, Einzelgespräche mit "Abweichlern", Verlust von Listenplatz oder Wahlkreis bei von der Fraktion abweichendem Abstimmungsverhalten).

Aus viroligischer Sicht wäre noch interessant, ob Chinas Lock-Down Strategie am Ende überhaupt etwas gebracht hat. Oder ob sie das unausweichliche lediglich in die Zukunft verschoben hat.

In vielen Ländern ist Corona nun mehr oder weniger endemisch geworden. Es gibt zwar immer noch schwere Verläufe, Todesfälle und Langzeitfolgen. Aber in einem Umfang, in dem man damit wohl als Gesellschaft leben kann oder muss.

Die Gretchenfrage lautet, liegt das daran, weil aktuelle Mutationen des Virus weniger gefährlich sind oder die Impfungen wirken. Oder liegt es daran, weil die Bevölkerung wegen des wiederkehrenden Kontakts mit dem Virus Herdenimmuniät erlangt hat.

Sollte letzteres der Fall sein, dann hätte China am Ende nichts gewonnen. Dann würde China bei einer Beendigung der Maßnahmen nur das blühen, was andere Länder längst durchgemacht haben.

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