Es ist doch schon länger zu sehen, dass protestierende Leute hier, wenn sie überhaupt eine mediale Erwähnung finden, als Abweichler, Störer des demokratischen Betriebsklimas, oder gar "mögliche Gefahr" für unser sehr gutes demokratisches Land vorgeführt werden, während in den Ländern, die Deutschland zu seinen schlechten Partnern bzw. Rivalen zählt, jeder Demonstrant als Beleg für die Schlechtigkeit des "autoritären Regimes" genutzt wird.
Was diese Leute wollen, kritisieren, fordern, ist dabei ziemlich irrelevant, ob es sich nun um nationalistische russische Oppositionspolitiker wie Nawalny handelt, Hong-Konger Studenten oder uigurische Unternehmerinnen, Hauptsache man hört in ihren Rufen irgendwo das Wort "Freiheit" heraus, so dass sie sich für den "Beweis" verwursten lassen, sie wollten nichts lieber als sich genau so freiheitlich regieren zu lassen wie "hier".
Dabei werden selbstverständlich keine realen deutschen Lebensbedingungen zugrunde gelegt, sondern die sehr abstrakten und idealen Glanzvorstellungen der deutschen demokratischen Vorbildhaftigkeit. Das ist sehr nützlich, weil man mit dem Fingerzeig auf das Schlechte schon die halbe Miete für die Behauptung hat "Uns" geht's doch dagegen noch gold, als ob die Tatsache, dass es anderen vermeintlich oder wirklich schlechter geht irgendetwas über die Güte der eigenen Lebensbedingungen aussagen würde.
Tatsächlich trifft es die Leute in China sehr hart, wenn sie wochenlang in ihren Wohnungen zu bleiben haben, Jobs und Einkommen verlieren und die anfangs mal organisierte Quarantäne-Versorgung bei solchen Massen wohl nicht mehr funktioniert. Verzweiflung und Wut über die existenziellen Beschränkungen nehmen da verständlicherweise zu.
In den "Tagesthemen" z.B. (28.11.) wurden die wütenden Aktionen natürlich nicht in die "Querdenker"-Schublade geschoben, sondern fast freudig mit der Hoffnung verbunden, dass sich da endlich ein überhaupt freiheitlicher Widerstand gegen die chinesische Regierung ankündigen könnte, wie ihn sich Deutsche bei solchen Gelegenheiten gegen die ausgemachten "Unrechts"-Staaten öfters wünschen sollen.
Die Bilder aus der Schalte nach China gaben allerdings so gar nichts her, was nach guter, demonstrativer Freiheitswut aussah. Leere Straßen und Plätze wurden da gezeigt, aber auch viele Polizeikräfte, bei denen man sich den Massenwiderstand vorstellen sollte, der aber durch die bloße Anwesenheit der Polizei bereits vor den erwarteten Ausbrüchen "verhindert" wurde. Trotz fehlender Bilder immerhin doch ein selbstgeschnitzter "Beweis", dass es ganz sicher zu den erwünschten Demonstrationen gekommen wäre, wenn das üble Regime diese nicht schon vorab vereitelt hätte. So blieb dem Korrespondenten vor Ort und der Moderatorin nicht viel mehr als Zeugnis über ihre eigenen Wünsche nach mehr Aufständen in China abzulegen.
"Unehrlichkeit", oder die sonst beliebten Vorwürfe der "Doppelmoral" liegen eigentlich etwas daneben, weil die Moral sich in diesen Fällen ja nie wirklich um die beklagten Missstände, Taten, Ereignisse dreht, sondern um die eigene nationale Sichtweise. Es ist darin eine ziemlich ehrliche und gar nicht so "doppelte" deutsche Moral, die Corona-Proteste hier als mögliche Gefährdung der politischen Verhältnisse einordnet, sich aber genau das in China wünscht. Offener geht's doch kaum noch, es sei denn man möchte sich Nationalismus nur als lautes Gegröhle vorstellen, wie beim Fussball. Der Opportunismus der Medien richtet sich da ganz nach den vorgegebenen politischen Nutzenkalkulationen. Bei den USA darf man sich wegen der guten Partnerschaft besorgt geben, wenn die "Wiege der Demokratie" gestürmt wird. Welche Auswirkungen hätte ein solcher Putsch schließlich auf "Uns"?! Auch bei europäischen Partnerländern darf man besorgt fragen, ob die ihre Corona- oder Gelbwesten-Proteste ordentlich unter Kontrolle kriegen; bei Ländern wie China, Russland, Iran und Katar mag man Proteste fast jeglicher Art, wenn sie sich irgendwie dazu eignen, dem Land Vorhaltungen zu machen und sich einzumischen.
Bei Katar hat es gestern wiederum ein Korrespondent in den Tagesthemen auf seine Art zum nationalen Punkt gebracht. Der sagte ungefähr: Es geht um Politik! (bei der WM) Der jüngste Gas-Deal mit Deutschland ist für Katar ein weiterer Schritt, die eigenen selbstbewussten Ambitionen zu mehr Einfluß und Anerkennung als Aufwertung zu nehmen ... dagegen sei die westliche, bzw. deutsche Symbolpolitik über Menschenrechtsvorwürfe das richtige Mittel.
So erklärt sich dann auch warum der Deutsche beides nebeneinander leisten soll und darf, beim großen Medienevent. Hoffen und Jubeln für die National-Elf, wie immer, und gleichzeitig als Medien-Trottel mit Binde "die WM Scheisse finden", "boykottieren" und speziell diesen katarischen Herrschaftsansprüchen jede erstrebte Anerkennung demonstrativ verweigern. Das funktioniert trotz eventueller moralischer Grätschen an der Fernbedienung sehr gut, sogar ohne jede Bezahlung.