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  • palette

634 Beiträge seit 16.11.2014

Re:

Zunächst einmal Danke für die ausführliche Antwort. Ich muss allerdings anmerken, dass sie sehr "fachspezifisch" ist und von vielen daher nicht verstanden werden würde.

Und das ist eben die Stärke von Wagenknecht.

In vielen Diskussionen mit Linken bemerke ich eine Art "Fachidiotie" (nichts gegen dich! überhaupt nich. ich mein das allgemein), die teilweise schon an die Diskussionen unter Klerikern erinnert, wieviele Engel denn wohl auf eine Nadelspitze passen. Leider wird Gesinnung freiem und pragmatisch analytischem Denken oft vorgezogen (nicht nur in der Linken).

Ich bin mittlerweile so weit, dass ich oft sage "Ich bin nicht links, ich bin Kommunist."
- wenn es angebracht ist, meist verzichte ich auf derartige Positionierungen

Wir alle agieren in diskursiven Räumen, wo man (leider) ohne durchdachte Strategie und taktisches Fingerspitzengefühl beim Darlegen politischer und ökonomischer Standpunkte schnell auf verschlossene Türen stößt. Überleg mal, wieviel du in deinem Leben an "fachspezifischer" Literatur und Diskussion schon konsumiert hast, auf welch hohem Niveau du das Thema bereits anzugehen verstehst. Wie viel Zeit und Arbeit darin steckt sowie welche Bedeutung du in Begriffe legst, die viel zu oft "falsch" genutzt werden.

Und wie schwierig es ist, mit jemandem auf einen Nenner zu kommen, der sich mit so was nicht beschäftigt. Die meisten Menschen wollen leben, und nicht "Polit-Experte" sein.

1. Die gegenwärtige Gesellschaft stellt m.E. nicht nur eine "Herrschaft des Menschen über den Menschen" dar, sondern eben auch eine "Herrschaft der Dinge" über den Menschen, weil die gesellschaftliche Reproduktion - und also die grundlegenden Beziehungen zwischen den Gesellschaftsmitgliedern - über Geld und WAREN, anstelle von Produkten vermittelt werden.

Danke für den berechtigten Einwurf. Ich hatte einfach nur dieses Zitat gebracht, um Assoziationen zu wecken, und so die Mühen der Darlegung meines Gedanken zu verkürzen.

Aber wo du's schon ansprichst: Mein keineswegs repräsentativer persönlicher Eindruck ist, dass dieser Fetisch grundsätzlich unterschiedliche Formen annehmen kann. Ich halte ihn für Symptom, nicht Ursache.

So hat die Idee der ›Erfüllung aller Bedürfnisse‹ verblüffende Parallelen zur Vorstellung vom Konsum-Wohlstand. Überspitzt formuliert könnte man sagen, man stellte sich den Kommunismus womöglich als Konsumismus vor.

*)

Ich kenn zwar Bahros "Die Alternative" nicht, aber ich stimme dir zu, dass die Aufhebung der Trennung von Handarbeit und Kopfarbeit Veränderung der Bedürfnisstrukturen nach sich ziehen und die Situation insgesamt verändern würde. Das wäre recht einfach durch ein neues Verständnis von Bildung zu erreichen, wo "handwerkliches Geschick" ebenso als Bildung gilt wie Goethes "Faust".

Aber auch hier: Renn nich gleich mit dem ganzen Paket ins Haus, mit nem Päckchen kommst'e weit besser durch die Tür.

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Marktwirtschaft Mittelalter ist, und dass die mit der industriellen Revolution explodierende Produktivität zugleich jede über einen Markt vermittelbare Verhältnismäßigkeit unserer schöpferischen Tätigkeit zueinander gesprengt hat.
Seit WK I ist Marktwirtschaft ein Anachronismus (und wir haben es der parlamentarischen Linken in Deutschland [damals SPD] zu verdanken, das dieser nicht überwunden ist).

Ausführlicher dazu:
http://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Donald-Tusk-der-osteuropaeische-Irrglaube-an-die-Marktwirtschaft/Der-Globale-Minotaurus-ist-2008-an-sein-Ende-gekommen/posting-25545629/show/

Die Lernprozesse, die wir (und andere) als Individuen durchschreiten, müssen wir auch den jeweils anderen und letztlich allen Gesellschaften ebenso zugestehen.

Ich nutze mal Armstrongs berühmten Satz als Metapher: "Wie mache ich aus diesem großen Schritt für mich einen Kleinen für die Menschheit?"

Das meiner Meinung nach wichtigste Werk von Marx ist nicht das analytische "Kapital", sondern das programmatische "Kommunistische Manifest". Welches schon lange einer heutigen Gegebenheiten entsprechende programmatische "Neuauflage" bedurfte.
Die im Interview durchschimmernde Wagenknechtsche Programmatik scheint mir in eben diese Richtung zu gehen: Das "Programm" zu Pikettys "Analyse".

Deinen Vergleich von Wagenknecht und Proudhon finde ich einerseits treffend, aber er verkennt die zeitliche Dimension. Die "gesamtgesellschaftliche Planung" hatte im 19.Jh gänzlich andere materielle Rahmenbedingungen und wurde dementsprechend anders gedacht, als sie mit der heutigen Infrastruktur (Internet!) gedacht werden kann.

Was die ökologische Dimension ("Umgang mit der Umwelt") angeht, so blieb mir ein Telepolis-Artikel im Gedächtnis, den ich mit meinem Kommentar dazu einleiten möchte:
http://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Gruene-Luegen/Ressourcenwende-statt-Energiewende-gute-Ideen-brauchen-bessere-Verkaeufer/posting-25521128/show/

Und noch kurz zu deinen Einwendungen hinsichtlich der NEP: Du sagst ja selbst, dass sie nicht wegen der "Disproportionen" aufgegeben wurde. Die NEP war angesichts der "mittelalterlichen" Realität in Russland unumgänglich. Die Sowjets kannten ihren Marx sehr gut und haben eine, wie ich finde, schillernde pragmatische Lösung gefunden, um den Widerspruch zu umgehen, dass der Sozialismus in einem Land mit unterentwickelten Produktivkräften eigentlich nicht möglich ist. Die "Kommandohöhen" der Wirtschaft waren zu keiner Zeit von diesen "Disproportionen" ernsthaft herausgefordert.

Auch heute brauchen wir einen pragmatischen Ansatz, der Mehrheiten hinter sich zu bringen versteht, um die (oft sogar schon ins Perverse gehenden) Absurditäten des Kapitalismus endlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen zu können. Maximal-Forderungen taugen nicht.

Sahra Wagenknecht hat, wie mir scheint, einen solchen Ansatz formuliert. Nutzen wir ihn.

.

*) Empfehle ich dir sehr:

Dimitrijević, Branislav: Sozialistischer Konsumismus, Verwestlichung und kulturelle
Reproduktion; in: Groys (u.a.): Zurück aus der Zukunft – Osteuropäische Kulturen im
Zeitalter des Postkommunismus. Frankfurt/Main (2005), S. 195-277.

Edit: Einfach nur, weil ich diesen Kommentar von dir super finde und schnell wiederfinden möchte:
http://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Warum-sollen-wir-uns-mit-so-einer-wirtschaftlichen-Ordnung-abfinden/Re-PC-vom-Kapitalismus-durchgesetzt/posting-28533766/show/

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (24.04.2016 17:42).

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