Leider erkenne ich in Wagenknechts Vorschlägen nur billige Systemkritik. Keiner ihrer Vorschläge wirkt ausgegoren. Hier nur einige der Fragen, die sich mir auftun.
Was würde sich konkret ändern, wenn Aktionäre unbegrenzt haftbar gemacht würden? Was passiert, wenn man Kapitalgesellschaften verbietet? Wie stellt sich Wagenknecht den Prozess vor, über den eine Vielzahl innovativer Unternehmen mit Stiftungskapital gegründet werden? Wer soll diese Stiftungen mit welchem Geld gründen? Wie sollen tausende bestehender Kapitalgesellschaften in solche Rechtsformen überführt werden? Wie sollen Unternehmen, die der Belegschaft gehören, funktionieren? Indem man bei der Einstellung eine halbe Million Euro einzahlt und sich beim Austritt auszahlen lässt? Indem bei Kapitalerhöhungen die Belegschaft zur Kasse gebeten wird? Was sind Gemeinwohlgesellschaften anderes als staatliche Unternehmen? Wie soll der geschichtlich erwiesenen Unproduktivität und Innovationsfeindlichkeit solcher Unternehmen vorgebeugt werden? Soll die damalige Deutsche Post wirklich ein Vorbild sein?
Ich vermute mal, dass ich in Wagenknechts Buch keine Antworten auf diese Fragen finden werde.
Dass es keine gute Idee ist, die freie Marktwirtschaft durch Planwirtschaft zu ersetzen, hat Wagenknecht anscheinend mitbekommen. Aber eine freie Marktwirtschaft bedeutet immer auch freie Kapitalmärkte und letztere sind das Wesen des Kapitalismus. Im Grunde ist Kapitalismus also eine unabdingbare Teilmenge der freien Marktwirtschaft. Für sämtliche Probleme, die der Kapitalismus zweifellos mit sich bringt, gibt es jedoch politische Lösungen. Um die Verteilungsprobleme zu lösen, braucht man zum Beispiel kein neues Wirtschaftssystem, sondern muss nur die Erbschaftssteuer radikal reformieren: Grenzsteuersatz von 100% und Betriebsvermögen werden voll versteuert, indem der Staat als stiller Gesellschafter einsteigt.
Wagenknecht macht den typischen Fehler der Linken, von einem Systemfehler auszugehen. Die Probleme der heutigen Welt würden jedoch in ähnlicher Form in jedem System auftreten. Letztendlich geht um eine bessere Politik in den (schwierigen) Detailfragen, nicht um ein vermeintliches Allheilmittel, von dem niemand genau weiß, wie es aussehen soll.