KarierterHut schrieb am 05.12.2023 06:40:
Einige der Themen, die von den etablierten Parteien vorangetrieben werden, decken sich nun mal nicht mit den Interessen großer Teile der Bevölkerung.
Du stellst da individuelle Interessen vor die der Mitmenschen.
Und genau das ist das Rechte, das sich in der Mitte der Gesellschaft breitgemacht hat.
Ein weiteres Symptom: Du findest das so selbstverständlich und nachvollziehbar, dass du gar nicht auf die Idee kommst, diese individualistische Haltung auch zu begründen.
Natürlich hat niemand etwas gegen bezahlbares Wohnen, wenn die selbe Partei, die sich angeblich dafür stark macht, den Wohnungsmangel durch Hochtreiben der Baupreise (Steuern, Vorschriften, "Klimaschutz", ...) sowie Aufnahme von mehreren Millionen neuen Wohnungssuchenden extrem verschärft, dann fällt dieser Widerspruch natürlich irgendwann auf.
Du guckst zu kurz. Ein Staat wie die Bundesrepublik ist eigentlich reich genug, um so viele Wohnungen zu bauen. Die Steigerung der Mietpreise liegt daran, dass das Wohnen auf Drängen der Hausbesitzerlobby mehr und mehr als Markt organisiert wurde, und da die Hausbesitzer viel flexibler sind als die Mieter (die Hausbesitzer müssen nur kündigen, die Mieter müssen ihr ganzes Leben neu organisieren), gibt das ein massives Marktversagen.
Was die Hausbesitzer übrigens genau wissen, und weshalb sie sich so auf den Markt berufen und dass der angeblich alles besser kann. Aus diesem Grund gibt es ja diese massiven Mieterschutzgesetze, die aber natürlich etwas zu regulieren versuchen, was sich aufgrund allzuvieler Details gar nicht gut regulieren lässt.
Die Schweizer machen's anders, die verbieten große Gewinne mit Vermietung: Der Mietzins ist auf 2% überm durchschnittlichen Hypothekensatz gedeckelt.
(Die Hausbesitzerlobby weicht dieses Prinzip allerdings zunehmend erfolgreich auf, mit dem Argument, in Zürich und Genf sei's schlimm und es würde zuwenig gebaut - dabei herrscht seit der Nullzinsphase heftig Leerstand, aber kein Argument zu dumm, und dass der Markt die Wohnungsnot in Stuttgart gelindert hat, kann man nun auch nicht wirklich sagen - er hat lediglich die Mietpreise allgemein nach oben gezogen, die Bremsen fürs Bauen liegen anderswo.)
(Die "mehreren Millionen" sind übrigens irreführend. Es ging gerade mal 2,1 Mio, die über viele Jahre verteilt angekommen sind. Bitte hier kein AfD-Geschwätz wiedergeben, danke.)
Und wenn dann die "Mitte" bemerkt, dass Nettolöhne sinken, Preise steigen und Arbeitsplätze durch eine ideologische Wirtschaftspolitik gefährdet werden, dann wendet sie sich natürlich einer möglichen Alternative zu.
Klar. Das Versprechen, mit Solidarität ginge es allen besser als wenn jeder seinen individuellen Vorteil sucht, das ist nicht eingehalten worden.
Nur dass Individualismus das Problem noch weiter verschärfen wird, weil dann der Egoismus zum gestaltenden Prinzip wird. Was bei sowas rauskommt, sieht man in Reinstform im Gesundheitssystem der USA, dem Immobilienmarkt in München oder daran, wie gut die Menschheit mit dem Klimawandel umgeht (wo Egoismen wirksames Handeln jahrzehntelang gelähmt haben und es immer noch auf Zu Wenig, Zu Spät hinausläuft).
Wer jetzt immer noch nicht an die politische Situation von vor 100 Jahren erinnert wird, der muss sich schon fragen lassen, warum er nicht aus der Geschichte lernen kann oder möchte.
Vor 100 Jahren waren es Aristokratie und Industrieinteressen und eine Gesellschaft, die nicht wusste, zu was für Exzessen die Menschheit selbst ohne Krieg fähig ist.
Heute sind es eher die Interessen der Finanzwirtschaft, und man weiß ein bisschen besser, wie tief die möglichen menschlichen Abgründe sind.
Die Frage, wer wohin gerückt ist, dürfte in diesem Zusammenhang reichlich belanglos sein.
Oh, das ist ein Symptom, ganz Recht, aber eines, das selbst hässliche Auswirkungen hat.
Die einzig wichtige Frage ist, warum diese Kluft zwischen dem Volk und den "Volksparteien" entstanden ist und wer und auf welche Weise diese Lücke wieder schließt.
Das "wer" ist so ein Autoritätsglaube... das ist sehr menschlich, aber das Problem liegt nicht bei Personen, sondern bei Machtstrukturen. Erkennt man daran, dass sich nichts ändert, wenn die Personen ausgetauscht werden.
Die Distanz zwischen Regierenden und Regierten ist übrigens nicht entstanden, die gab es immer. Die Klage gibt es seit spätestens den 80ern, als das Wort vom "Raumschiff Bonn" die Runde machte, in der Gründungszeit waren in den verfassunggebenden Gruppe hauptsächlich Intellektuelle drin, in der Nazizeit hieß es immer "wenn das der Führer wüsste", und in den 30ern und davor hatten die Aristokraten so richtig gar keine Ahnung davon, was ihre Untertanen eigentlich für ein Leben leben.
Aber ja, die ist seit den 80ern ständig gewachsen. Ein Schmidt hatte wenigstens noch Ahnung von Wirtschaft, und sein Sozialflügel Ahnung von der Lebenswelt der Arbeiter, das war nicht doll (Filz gab's auch damals), aber wenigstens halbwegs kompetent. Mit Kohl wurden Klientelpolitik, Aussitzen und Symbolhandlungen zum Gestaltungsprinzip, und da er damit für seine Partei sehr erfolgreich war, haben SPD und FDP das kopiert (und verlieren seither permanent Wähler).
Was auch ankommt, ist ideologische Verbohrtheit, damit ist die AfD recht erfolgreich - blöderweise wird das die Gesamtsituation noch weiter verschlechtern. Ist halt das gleiche Prinzip wie bei Trump: Wir Zuerst, den Rest sollen die Hunde fressen, also Egoismus und Rücksichtslosigkeit als Grundprinzip. Nur zerstört sowas eine Gesellschaft viel wirkungsvoller als es jeder Lobbyismus kann, denn damit reißt man alle Schranken ein, die die wirklich hemmungslos Gierigen daran hindern, alles Greifbare restlos auszuplündern.
(Die Linke Partei übt sich in Selbstzerfleischung und ist so durch Bedeutungslosigkeit kein Teil des Problems. Allerdings sind auch dort zu viele dumme Ideologen unterwegs.)