Wenn Werte nicht einmal von den selbst ernannten Fackelträgern und Leuchttürmen von Demokratie und Menschenrechten universell angewendet werden, sondern opportunistisch und im Eigeninteresse, warum sollten wir uns daran halten?
Weil es richtig ist? Weil sonst z.B. das Recht des Stärkeren herrscht, und niemand ist auf Dauer der Stärkere. Deswegen haben die Diktatoren so viel Angst. Ghaddafi wurde äußerst brutal getötet: Warum hat sich Putin das Video dieser Ermordung wieder und wieder angeschaut?
Die sog. westlichen Werte sind nicht beliebig austauschbar durch andere, etwa dschihadistidche Werte. Sondern mit diesem Begriff ist schlicht gemeint, was richtig ist.
Als Kern dieser Werte möchte ich die Habermassche Diskursethik anführen: Die Idee, dass man durch Gespräche, in denen die Gesprächspartner sich respektieren und ein besseres Argument als ein solches anerkennen, Konflikte gelöst und Wahrheit gefunden werden kann.
Jeder, diese Idee nicht teilt, hat schlicht unrecht - wie sich in einer Diskussion leicht zeigt.
Eine andere Frage ist, wie wir staatliche Bedingungen herstellen können, damit diese Werte Realität werden. Da ist es halt so, dass Menschen, die dieses Spiel nicht mitmachen wollen, auch mit Gewalt daran gehindert werden müssen, Anderen ihre Freiheit zu schmälern: Deswegen haben wir innenstaatlich eine Polizei.
Zwischenstaatlich gibt es zwar die richtigen Werte (UN-Charta), aber eben keine "Weltpolizei" - da herrscht das Recht des Stärkeren.
Und da müssen wir uns halt durchlavieren: der Vorwurf der Doppelmoral ist da leicht zu simpel.
Wir könnten ja die reinen Engel sein, wenn wir uns gegen gewaltsame Unvernunft nicht verteidigen, sind wir bald nicht mehr am Leben.
In diesem Zusammenhang ist ein Unterschied zwischen Saudis und Russen ganz sicher der, dass von der geistig-kulturellen Tradition her die Russen uns viel näher sind als die Saudis (oder auch die Chinesen).
Schon der Marxismus-Leninismus war ein (wenn auch in die Irre führendes) Produkt unserer westlichen Aufklärungstradition. Der gebildete Russe ist durchaus in der Lage, meine oben genannte Argumentation zur Diskursethik zu verstehen und auch anzuerkennen. (Bei den Saudis oder dem Jemen bezweifle ich das - da ist noch ein langer Bildungsweg zu gehen.) Deshalb ist es umso schlimmer, wenn ein Land von im Prinzip aufgeklärt gebildeten Menschen solch eine perverse Gewaltorgie veranstaltet: da sind wir als Europäer viel mehr verpflichtet, dagegen anzugehen. (So wie früher die Alliierten gegen die Nazis): Da steht unser europäisches Projekt einer freien Gesellschaft, in der Konflikte durch Diskussion, nicht durch Gewalt gelöst werden, auf dem Spiel.
Deswegen macht es schon einen Unterschied, ob wir Russengas oder Saudi-Öl boykottieren. Am besten beide, klar.
Aber mit irgendwas müssen wir halt im Winter die Bude warm kriegen.