Um möglichst objektiv und wirklichkeitsnah berichten zu können, bedarf es halt einer Unvoreingenommenheit und der Fähigkeit zum Paradigmenwechsel. Beides jedoch ist dem "modernen" Journalismus allem Anschein nach völlig abhanden gekommen.
Ein Peter Scholl-Latour konnte relativ sachlich und neutral aus aller Welt berichten, weil er ohne die ideologischen Scheuklappen und ohne den Absolutheitsanspruch des "westlichen Wertekanons" auf die Menschen zuging. Ansonsten hätte er wohl 1973 die Gefangenschaft beim Vietcong nicht überlebt und wäre später weder in Russland willkommen gewesen, noch hätten die "Despoten" auch nur ein Wort mit ihm gewechselt.
Ähnliches kann man auch über eine Gabriele Krone-Schmalz oder gar einen Gerd Ruge sagen, die unvoreingenommen auf die Menschen in Russland, auch abseits der Eliten und Politszene, eingehen konnte und wollte, dabei auch die Sichtweise des Gegenübers einnehmend. Wird heute jedoch schon als zu "feindnah" eingestuft und damit abgewertet. Man darf sich nicht mit dem "politischen Gegner", auch wenn es der unbeteiligte Zivilist ist, der von den politischen Ränkespielen nichts mitbekommt, gemein machen...
Auch einen Dieter Kronzucker möchte ich in diese Riege aufnehmen, als einen der letzten "Reporter", die nicht aus dem bequemen Korrespondentenstudio oder gar einem anderen Land berichtet haben, sondern noch selbst vor Ort waren. Heute undenkbar, wo man sich ja durch seine eigene stets als Monstranz vor sich her zu tragende Tugendhaftigkeit und vehemente Vertretung der "eigenen" Werte auch selbst zur Zielscheibe machen würde, mit der im Zweifel niemand reden will, was man selbst ja auch gar nicht möchte, und die im schlimmsten Fall als der Feind wahrgenommen wird, den man selbst im Gegenüber dargestellt sehen will.
Anstatt sich erstmal anzuhören, was der "Böse" überhaupt zu sagen hat, darf man ihm heutzutage "keine Bühne bieten". Hat man vlt. Angst, dass der etwas sagen könnte, was das eigene Weltbild, oder aber die eigene Stellung, ins Wanken bringt?! Nicht mal das Recht auf die eigene Verteidigung wird ihm eingeräumt....
Ein Interview mit al-Assad, wie es Scholl-Latour geführt hat, wäre heute genauso undenkbar, wie ein neutrales Interview mit Putin oder gar Kim Jong Un. Eigentlich traurig, was aus einem Journalismus von Weltformat geworden ist.
Ich selbst habe auf Reisen immer wieder erlebt, dass das Bild, das uns medial über ein Land und seine Bevölkerung vermittelt wird, angefangen bei den USA bis hin zu den Nachbarn in Mittel- und Osteuropa (Russland fehlt mir noch, ebenso wie Nordkorea), nur in Ausnahmefällen, und dann auch fast ausschließlich in den großen Metropolen, etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Manchmal kommt es mir vor, als würden die Berichterstatter nie aus den Großstädten rauskommen und nicht wahrnehmen können oder wollen, dass das Leben in der weiten Fläche zumeist ganz anders aussieht, als im Mikrokosmos der Städte. Da werden dann eher Geschichten im Stile eines Karl May verbreitet von Dingen, die man selbst nicht gesehen hat und wo vieles einzig der Fantasie und den Vorurteilen des Reporters entspringt.
Ist halt auch einfacher, wenn man behaupten kann, dass die "Abgehängten" auf dem Land immer "rednecks" sind, Trump treu ergeben und so bibelfest, dass sie jeden Sonntag einen Schwarzen lynchen.... oder dass in Russland jeder entweder Oligarch oder bettelarm ist, noch im Sowjetstil sein Leben fristet und zu Putin oder Stalin betet.
Dabei beginnt diese Entwicklung bereits hier im eigenen Land, wenn Deutschland und die Welt nur noch aus Berlin zu bestehen scheint und auch alle politischen Ideen sich auf die Umsetzbarkeit in der Hauptstadt reduzieren, den Rest abseits der Ballungsräume völlig ausblendend.
Aber Sachsen sind ja alle Nazis, auf dem Land herrscht automatisch Bildungsarmut und nur Berlin kann hipp und sexy... wobei dies dann immer mehr auch zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird, wenn aufgrund dessen die Infrastruktur dort immer weiter vernachlässigt wird zugunsten des Bundeshauptmolochs.
Mein Grundsatz ist, sich stets offen mit allen Menschen zu unterhalten, zu diskutieren und auch die Meinung des Gegenübers als gleichwertig anzuerkennen. Statt Kontaktvermeidung und "mit denen spricht man nicht", wie es in der neuen Pressewelt gelebt wird, zählen für mich erstmal nur Argumente, egal von welcher Seite. Höflichkeit in der Diskussion ist für mich nicht nur "gute Kinderstube", sondern für eine fruchtbare und konstruktive Unterhaltung unerlässlich.
Leider erlebe ich gerade hier auf tp immer mehr, dass nur noch niedergebrüllt, ad hominem diffamiert, beleidigt und derailt wird, dass selbst auf Nachfrage nach Gegenargumenten nur ein "lebst du unterm Stein", "Google hilft", "alles schon zigtausendmal widerlegt" kommt, aber eben keine konkrete Gegenrede, kein Verweis, wo denn die Argumente und die zigtausendfache Diskussion zu finden sind und überhaupt kein Wille, auch nur im Ansatz das Gegenüber als gleichberechtigt in seiner Meinung anzuerkennen.
Schwer zu ertragen wird es für mich, wenn dann die grundsätzlich humorbefreite und zu übertragenem Denken und Sinnerfassen (man weiß dort scheinbar nicht um die Bedeutung von "cum grano salis") scheinbar unfähige Forenmoderation noch den Pöblern und Threadzerstörern beispringt, gar "Spurenbeseitigung" betreibt, wenn diese dann mal argumentativ widerlegt werden (selten, da kaum "eigene" threads mit konkreten Aussagen aufgemacht werden), bzw. ihnen ihre Verstöße gegen Forenregeln und z.T. auch Gesetze nachgewiesen werden. Da ist dann schnell mal ein ganzer Faden gelöscht, auch ohne Begründung oder mit einer solchen, die keinerlei Nachvollziehbarkeit zulässt, und nicht der Provokateur wird gesperrt, sondern der, der ihn vorgeführt und/oder widerlegt hat. Wenn das keine Parteilichkeit ist, was dann?!
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (12.06.2021 23:13).