Jeder kennt die Wilmersdorfer Witwen aus Linie 1. Die traten als Running Gag in dem Theater/Musical immer wieder auf, und ihre Rolle war, die nörgelnden, wohl versorgten Mecker-Tanten zu geben. Die zu jedem und allem ungefragt, und völlig einseitig ihren Senf dazu gaben, Pseudo-Moral geschwängert alles mögliche kritisierten, was ihnen nicht passte, aber als von Witwen-Renten wohlversorgt gut lebende, auch bar jeglicher Empathie für die Probleme und Lebenslagen der jungen Menschen - an die sich Linie 1 wendete. Ein Spiegelbild des damaligen West-Berlin.
Das als Intro - sich empören ist heute Standard-Repertoire vieler Jugendbewegungen, sich selbst als linke Bewegung definierende Gruppen, Diversity-Aktionisten, etc. - aber erfordert ein Wandel, der auch sozial gerecht ist, nicht vielleicht doch ein wenig mehr, reicht Empörungs-Aktionismus aus?
Frühe Gewerkschaften haben gegen erheblichen Widerstand des Establishments kämpfen müssen, in den USA haben in den 1920ern Nationalgardisten in die Streikenden geschossen auf Anweisung des Governors, für eine gerechte Bezahlung und die rudimentärsten Arbeiterrechte floss Blut, und heute findet eine der massivsten gesellschaftlichen Umwälzungen seit 100 Jahren statt, und die Bewegten denken man beeinflusst das mit symbolischen empören?
Das Establishment zu zwingen auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse einzugehen, ist harte Arbeit, und riskant und braucht schlaue Köpfe, Strategien, klare Positionierungen, die Mehrheitsfähig sind. Und die Diversity, besser genannt Divorsity-Bewegungen tun genau das Gegenteil - sie verzetteln sich in der Bekämpfung von Mikro-Aggressionen, dem Kampf für die Bevorzugung und Rechte von Mikro-Identitäts-Betroffenen, und verlieren dabei das große Ganze aus den Augen, und erreichen daher in den wichtigen, großen Fragen auch nix. Eine von Armut gefährdete, alleinerziehende Mutter als Vollzeit-Kassiererin, oder ein Pflegehelfer im Altenheim hat dieselben Einkommensprobleme, wie jeder Trans-Mann in dem gleichen Job - wieso muss man da nochmal Unter-Spalten? Das ist eine Technik aus der alten Geheimdienst-Küche, Oppositionen unterwandern, spalten, gegeneinander aufhetzen - und gerade die sich selbst als sonder-proggressiv empfindende springen da völlig unkritisch auf den vom Establishment an den Bahnhof gestellten Zug, und schnallen es nicht - und oh Wunder, in den substantiellen Fragen, Wohnen, Einkommen, Rente, Arbeitsrechte, gute Gesundheitsvorosrge erreichen sie nix ...
Ich habe es leider bisher nicht geschafft sein Buch zu lesen, aber einige Interviews mit Stéphane Hessel gesehen und gelesen. Und ich bin ziemlich davon überzeugt, das er sein "empört euch" nicht so gemeint hat, wie das so mancher heute verstehen will - der Mann war in der Resistance, und die war nicht bekannt dafür vor den Nazis in Paris auf dem Bürgersteig zu hüpfen.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (16.05.2021 13:52).