Die britische Studie wäre sofort verrissen worden, wenn die Forscher nicht eine Methode gefunden hätten, um den von dir vermuteten Mangel zu vermeiden. Ich habe die Studie allerdings nicht gelesen.
Ich habe sie und einige andere gelesen. Die leiden alle miteinander an einem ganz offensichtlichen Problem, nämlich dem Fehlen einer Kontrollgruppe. Je nach Studie kommt dann auch noch ein weiteres Problem dazu, nämlich dass die untersuchten Fälle nicht zufällig ausgewählt worden sind, so dass gar nicht klar ist, ob sie überhaupt für die Gesamtpopulation repräsentativ sind oder nicht. Manche Studien ignorieren diese Probleme schlicht und einfach und sagen irgendwie und irgendwo, dass ihre Ergebnisse auch nur für die Untersuchten gelten und sonst für niemanden. Diese Einschränkung fällt dann, wie nicht anders zu erwarten, in der Berichterstattung über die Studie völlig unter den Tisch und die Studie ist auf einmal für die Gesamtpopulation repräsentativ, was sie halt nicht ist.
Das Fehlen der Kontrollgruppe bedeutet aber im Kern, dass die Studie nicht mal für die Untersuchten irgendeine belastbare Aussage treffen kann. In aller Regel ist den Autoren dieses Problem natürlich bewusst, weshalb dann oft ein "Pärchen-Ansatz" gewählt wird. Dabei wird (als Beispiel) jeder geimpfte Untersuchte mit einer ungeimpften Person "gepaart", die anhand einiger Kriterien (z.B. Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand anhand einiger grober Kriterien, soziale Aspekte ebenfalls anhand einiger grober Kriterien) als identisch deklariert wird. Auf der Basis dieser Paarbildung wird dann eine Art künstlicher Kontrollgruppe geschaffen, mit der verglichen wird. Dieses Vorgehen ist zweifelsohne zuverlässiger als einfach das Problem zu ignorieren, aber es gibt natürlich keinerlei Garantie, dass die Paarung auch wirklich korrekt ist. Die Kriterien für die Paarung sind in aller Regel recht grob (ansonsten hätte man nämlich zu wenig geeignete Paare) und auch nur begrenzt vertrauenserweckend (z.B. Annahme über den Gesundheitszustand ohne individuelle Untersuchung). Und was völlig außer Acht bleibt und auch bleiben muss, sind Kriterien zum Verhalten. Das ist aber ein massives Problem, weil die Annahme, dass sich Geimpfte und Ungeimpfte in Bezug auf Corona (z.B. Wahrscheinlichkeit, bei irgendwelchen Symptomen einen PCR-Test durch führen zu lassen) gleich verhalten werden, mindestens wacklig, wenn nicht ganz daneben ist. Man kann erwarten, dass mit steigenden Stichprobengrößen die Probleme der Paarbildung geringer werden, aber das Problem des divergierenden Verhaltens lässt sich auch mit sehr großen Stichproben (>100,000 wie im UK aus Daten des NHS möglich) nicht ohne weiteres lösen.
Unterm Strich führen diese Probleme dazu, dass ausnahmslos alle Aussagen aus diesen Studien mindestens mit Vorsicht zu genießen sind. Bei Aussagen über den Schweregrad einer Corona-Erkrankung ("Geimpfte erkranken weniger häufig schwer") kommt hinzu, dass jetzt im Sommer die Zahl der Infektionen und damit auch der schweren Erkrankungen generell vergleichsweise niedrig ist, so dass keine Studie auf Fallzahlen basiert, die statistisch irgendwie stabil wären. In Israel und auch Island scheint man dieses Problem derzeit "zu lösen", wenn man das so formulieren will, aber es gibt natürlich noch keine belastbaren Studien aus diesen Ländern.
Verrissen werden diese Studien deshalb nicht, weil es (1) keine Lösung für die beschriebenen Probleme gibt und (2) derjenige, der die Studie verreißt, auch keine Lösung hat und daher ziemlich blöd dastehen würde. D.h. der Fachwelt sind die Rahmenbedingungen und Einschränkungen durchaus bewusst, aber in der öffentlichen Berichterstattung geht dies alles verloren. Und in der politischen Diskussion interessieren diese Einschränkungen sowieso nicht -- da wird aus einem "gibt keinen Gegenbeweis" sofort ein "ist bewiesen".