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  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Völkerrecht für Sieger

Verhandlungen in der Tradition der großen Konferenzen am Ende des 2. Weltkriegs in Teheran und Jalta, das ist Putins Traum. "Dort wo die Armeen stehen bleiben, dort wird die Grenze zwischen den Blöcken verlaufen" - das ist das grundlegende, schon von Stalin formulierte Konzept. Mit dem Unterschied, dass Russland diesmal, anders als die Sowjetunion als Siegermacht des 2. Weltkrieges, keine Kompensation dafür fordern kann, dass es selbst angegriffen wurde. Und dass es mit der ganzen Idee, die Teile der Ukraine, in der es eine nennenswerte russische Bevölkerung gibt (was ganz zufällig auch die Gebiete mit wertvollsten Bodenschätzen sind) völkerrechtswidrig zu annektieren, dieses mal doch ziemlich alleine steht.

Eigentlich war dieses Vorgehen auch schon nach dem 2.Weltkrieg völkerrechtswidrig. Die Eroberungen Moskaus aus der Zeit vor dem deutschen Überfall, die ein Ergebnis der Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland waren (Ostpolen und das Baltikum) wurden faktisch anerkannt (im Baltikum allerdings nur de-facto und nie de-jure), die dort verübten Kriegsverbrechen (z.B. Katyn) unter den Teppich gekehrt. Die Sowjetunion dachte auch gar nicht daran, die Zusagen zur Durchführung freier Wahlen in den von der Roten Armee befreiten Staaten in Osteuropa jemals umzusetzen. Dorst entstanden sozialistische Marionettenregime, deren führende kommunistische Parteien ihre Anweisungen direkt aus Moskau erhielten.

Typisch für das ganze Konzept der Konferenzen war, dass es Russland einzig und allein um die Absicherung seiner Eroberungen ging. Humanitäre Erwägungen (die Verschiebungen diverser Grenzen erzeugte weitere gewaltige Flucht- und Vertreibungsbewegungen in einem Europa, in dem es ohnehin schon Millionen "Displaced Persons" gab) oder die bürgerlichen Rechte der "Befreiten" spielten hingegen keine Rolle.

Soll das wirklich die Basis für den zukünftigen Frieden in Europa sein? Dass die "Neutralität" von Staaten (die im Falle der Ukraine nichts weiter als ein Euphemismus für russischen Einfluss ist) mit Gewalt erzwungen wird? Hat die Ukraine sich nicht mehrfach in demokratischen Wahlen gegen diesen Weg entschieden? Spielt es überhaupt keine Rolle, dass die Zugehörigkeit zur russischen Föderation das Ende von Demokratie und Rechtstaatlichkeit für die "befreite" Bevölkerung bedeutet? Und für alle, die das (neben der Vernichtung ihrer ukrainischen Identität) nicht akzeptieren wollen, den Verlust ihrer Heimat?

Nein - die Basis für eine Nachkriegsordnung kann nur eine Rückkehr zum Völkerrecht sein und die Ablehnung jeglicher Rabattregelung zugunsten Russlands. Das bedeutet: Nicht-Anerkennung der Annexionen, Verantwortlichkeit des Aggressors für die Kriegsfolgen, Verfolgung der Kriegsverbrechen, Verpflichtung zur Beachtung des durch das humanitäre Völkerrecht festgelegten Pflichten als Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten durch Russland. Darauf wird der Fokus liegen und nicht darauf, wo Russland gerne Grenzen gezogen hätte, was für eine Regierung es sich in Kiew wünscht oder wie es sich die künftige Außenpolitik der Ukraine vorstellt.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (22.06.2024 11:31).

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