Für mich ist die Grundfrage: Was ist eine Erkenntnis, was wollen wir als eine Erkenntnis gelten lassen? Auf welche Weise kann einen Erkenntnis gewonnen werden? Welchen (Mindest-)Anforderungen muß sie genügen? Durch welche Eigenschaften soll sie von anderen Auffassungen, die in diesem Sinn nicht als Erkenntnis gelten können, unterscheidbar sein; was also sind die Prüfkriterien? Auf welche Weise können solche Eigenschaften überhaupt gefunden werden? Und schon sind wir eine Abstraktionsstufe weiter oben, denn es müssen Regeln gefunden werden, um auf Erkenntnisse zu prüfen.
Daran hängt das ganze Gebäude, auf dem sich ein Weltbild aufbaut, denn wir wollen ja keine Luftschlösser bauen, sondern eine Erklärung der Welt wagen, die Welt möglichst gut verstehen können, und zwar nicht durch Erraten oder Werfen von Knöchelchen, sondern aufgrund von Erkenntnissen.
Wenn wir an die Frage gehen, wie wir zu Erkenntnissen über die Welt kommen, müssen wir uns erst einmal Klarheit darüber verschaffen, was "die Welt" denn eigentlich ist, was es dort alles zu erkennen gäbe. Was füllt den Baukasten "Welt" (pardon für die mechanistische Titulierung), was steckt alles darin?
Irgendwie treten sich die beiden philosophischen Gebiete, die Epistemologie und die Ontologie, gegenseitig auf die Füße. Da gucken welche im Baukasten nach und ziehen einen Gott heraus, andere können selbst mit größter Anstrengung keinen finden. An dieser Stelle ist die Ontologie gefragt, die ja dafür zuständig ist, herauszufinden, was nun wirklich im Baukasten steckt und was nicht. Sie ist für Frage zuständig, wie derjenige, der einen Gott gefunden haben will (und umgekehrt der andere auch), zu seinem Urteil gekommen ist: Aufgrund einer Erkenntnis, oder war es nur eine Täuschung, ein Fehlurteil? Und schon sind wir wieder bei der Epistemologie, denn auch die Ontologie baut ja auf Erkenntnissen auf.
Da der Artikel vom Naturalismus handelt: Der Philosoph Holm Tetens hat einmal einen Artikel verfaßt, in dem er zwei Postulate nennt, von denen der Naturalist überzeugt ist, daß sie wahr sind. Ich zitiere:
- Das Postulat vom exklusiven Zugang der Wissenschaften zur Wirklichkeit: Es sind die Wissenschaften und nur die Wissenschaften, die uns die Wirklichkeit immer besser erkennen und verstehen lassen. Demgegenüber verfehlen magische, mythische, religiöse und metaphysisch-philosophische Weltzugänge, wie sie die Kulturgeschichte ebenso prägen, die eigentliche Realität.
- Das Weltperfektionierungspostulat: Indem wir die Ergebnisse wissenschaftlicher Welterkenntnis anwenden und unter Bedingungen kapitalistischer Produktion von Waren und Dienstleistungen ökonomisch nutzen, schaffen wir eine stetigbessere Welt, in der immer mehr Übel und Leiden aus ihr verschwinden.
Hier treffen wir als erstes auf das Dilemma der unterschiedlichen Auffassungen über ein- und dieselbe Sache. Ich weiß nicht, wieviele Definitionen es von "Naturalismus" gibt, aber das zweite Postulat (vor allem das pauschalisierende "der Naturalist") ist mir in dem Zusammenhang noch niemals begegnet. Es ist deswegen schon grundfalsch, weil es Seins- und Sollensaussagen nicht wie erforderlich trennt, weil aus dem einen nicht auf das andere geschlossen werden darf.
Aber ich will auf das erste Postulat hinaus, den Zugang zur Wirklichkeit. Dabei gibt es eine Frage, sie zuvor geklärt werden muß: Kann eine Naturwissenschaft, können ihre Erkenntnisse eine philosophisch-weltanschauliche Position bestätigen (nicht: beweisen!) bzw. widerlegen? Immerhin bauen die Naturwissenschaften auf der Philosophie auf, und nicht umgekehrt. Oder hat sich das vielleicht aufgrund der Evidenzen, die für einen ontologischen Naturalismus als "Nullhypothese der Naturwissenschaften (Martin Neukamm) sprechen, geändert?
Nehmen wir an, daß das nicht grundsätzlich verneint wird. Wir sind noch beim Weltzugang: Menschen können, so haben es die Humanwissenschaften gezeigt, auf verschiedene Weise in Zustände versetzt werden (oder sich versetzen), die sie die Welt auf einen besondere Weise erleben lassen (ich denke da z.B: an Trance oder rauschhafte Zustände). Was, wenn mythische, religiöse Erfahrungen innerhalb des Menschen stattfinden, aber auf den Menschen so wirken, als erfahre er sie von außerhalb seiner selbst? Und wenn das so ist, was wäre dann der vermeintliche magische,...Weltzugang tatsächlich?