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  • Mathematiker

mehr als 1000 Beiträge seit 22.02.2014

Auf dem passenden Nährboden sprießt hat linkes und rechts Unkraut

Nun kann zu Recht eingewendet werden, dass es ein Unterschied ist, ob am Reichstagseingang Anti-AKW-Symbole oder Reichskriegsflaggen vor dem Reichstagsgebäude wehen. Doch dann sollte man konzedieren, dass die Wortähnlichkeit kein Zufall ist. Es ist politischer Commonsense in Deutschland, dass das Gebäude noch immer Reichstag genannt und damit an eine zweifelhafte politische Tradition angeknüpft wird.

Vielleicht liegt das auch einfach am Fremdeln Berlins und Teilen Ostdeutschlands an der Bundesrepublik Deutschland. Auch der Autor wäre lieber in der DDR oder der Weimarer Republik. Egal ob Stadtschloss oder Garnisonskirche, erhebliche Kräftte wollen geistig in die Kaiserzeit zurück zu altem Pomp und Gloria, als Berlin noch (geografisches) Zentrum der Großmacht Deutschlands war und nicht randständig wie heute ist.
Statt die Republik anzunehmen und dann auch die Bezeichung Bundestag dafür zu etablieren, will man lieber dem Alten prunken.

Es gab da in den letzten Jahrzehnten Diskussionen, beispielsweise, ob die Widmung "Dem Deutschen Volke" nicht ersetzt werden soll. Vor 20 Jahren gab es dazu eine vielbeachtete Kunstaktion von Hans Haacke.

Das war ja auch absoluter Bullshit.

Doch zum Selbstverständnis der politischen Klasse in Deutschland gehört es, am anachronistischen Begriff des Reichstags festzuhalten. Im Zentrum Berlins sollten die Bilder ausgelöscht worden, die Soldaten der Roten Armee beim Hissen der sowjetischen Fahne an dem zerstörten Gebäude zeigen. Mag die Szene auch später noch mal für die Fotografen nachgestellt worden sein, sie hat historisch stattgefunden.

Auf so merkwürdige Ideen kann nur jemand kommen, der noch immer nicht in der BRD angekommen ist. Hätte man einen Zinnsoldaten der Roten Armee auf das Dach stellen sollen?

Es wäre ein gutes Motiv zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Doch das wollte und konnte das wieder gutgemachte Deutschland nicht zulassen. Das zeigt sich auch daran, dass die Inschriften, die Sowjetsoldaten nach dem Sieg über den NS in die Gemäuer des Reichstags ritzten, vor Besuchern versteckt werden.

Die Russen haben nun wahrlich genug Gerümpel von ihren DDR-Schergen aufstellen lassen. Im Grunde reicht schon das Ehrenmal im Tiergarten doch schon völlig aus. Die Statue von Lew Kerbel vor allen Dingen ein Schandmal und Dehmütigung für die Besiegten. Die Aussage an die Unterworfenen: "Gebt uns niemals einen Grund wiederzukommen." Ob das jetzt für die Ossis eine richtige und wichtige Ansage war oder man durch das Mahnmal erst so geworden ist? Keine Ahnung. So Mancher braucht ja vielleicht den Stiefel im Nacken.
Die Westalliierten hatten sich so etwas jedenfalls geschenkt und dem Besiegten die Hand gereicht. Die Soldatenfriedhöfe im Westen sind diskrete Anlagen des Gedenkens.

Und dann kommen die Rechten mit den Fahnen von Gestern und machen so den braunen Untergrund kenntlich, auf dem diese deutsche Demokratie aufgebaut ist

Den rot-braunen? Schließlich hatte man die DDR oder Ost-Länder nie entstalinisiert. Mit den Stasi-Unterlagen konnte man leidlich gut verhindern, dass Schergen der Diktatur sich an hohe Positionen der Verwaltung seilschaften und die BRD unterwandern konnten. In vielen Regionen der DDR ging es mit der gehäuteten SED, dem alten Personal und Seilschaften munter weiter. Das Westgeld wurde gerne genommen, den bösen Wessis das eigene Versagen in die Schuhe geschoben und kräftig ostalgisiert, als wären es nicht die eigenen Landleute gewesen, die den Zauber beendet hätten.

Hier passt nichts zusammen: Müssten sich die Demonstrierenden auf einen Gesellschaftsentwurf einigen, wäre heilloses Hauen und Stechen angesagt. Wenn das Wesen des Politischen allerdings in der Freund-Feind-Unterscheidung liegt, dann folgt diese Bewegung der Logik des Politischen. Der Feind ist klar, es ist die Regierung, personifiziert in Angela Merkel.

Das ganze Ding war vor allen Dingen ein riesiges Happening mit Ansage. Da sind sowohl Spinner und organisierte Rechtsextreme angereist, als auch Leutchen, die einfach nur ihren Spaß haben und die Berliner Stadtregierung vorführen wollten. Da Berlin auch gleichzeitig die Hauptstadt der Spinner der Republik ist, konnten die Teilnehmer auch von genug Schlagzahl und richtig Spaß ausgehen. Die überforderte Polizei und die Organisatoren der Demo hätten eigentlich für die Einhaltung der Corona-Regeln sorgen sollen, waren aber maßlos überfordert.

Genau dieser Befund kann auch für das Geschehen am letzten Samstag gelten. Da passt nichts zusammen. Während auf der Bühne ein schwäbischer Moslem seine Ablehnung der Corona-Maßnahmen artikulierte und Sportler verschiedener Hautfarben erklären, wie sie sanktioniert wurden, weil sie am 1. August mitgelaufen sind, gehörten zu den Zuhörern rechte Hools, die eigentlich jeden Moslem in Deutschland abschieben wollen. Während die Moderatoren anmahnten, jetzt müsse mal wieder eine Frau sprechen, haben sich vor der Bühne Männergruppen eingefunden, für die Feminismus ein Feindbild ist.

Der Autor hat eine sehr eingeschränkte Weltsicht. Für ihn ist jeder, der sich nicht komplett seiner Meinung unterordnen will praktisch ein Feind. Da ging es nicht um die Wahl zum Bundeskanzler oder eine Heirat, sondern den kleinsten gemeinsamen Nenner. Da war nichts wirklich organisiert und jeder durfte seinen Schwank zum Besten geben.

Wir erleben eine Welt, in der scheinbar sämtliche politische Koordinatensysteme ihre Gültigkeit verloren haben.

Aber das ist doch schon seit vielen Jahren so. Die Begriffe "links" und "rechts" sind total hohl und könnten auch durch "gut" und "böse" ersetzt werden, ohne dass dies weiter auffallen würde.

echts und links gibt es für sie nicht mehr - und der immer schon diffuse antifaschistische Grundkonsens gilt bei den Corona-Protesten nicht. War er aber nicht immer schon eher ein Lippenbekenntnis für Sonntagsreden, das das linksliberale Milieu aufsaugte wie Honig?

Die Antifanten haben sowieso nicht alle stramm. Der Begriff "antifaschistisch" war schon immer der Versuch einer Vereinnahmung. Gerade die DDR mit ihrem Regime stand doch dem Faschismus am nächsten. Der Unterschied zwischen den Faschisten, die abweichendes Äußeres nicht ertragen können und den Kommunisten, die ein abweichendes Denken nicht ertragen können, ist nun wirklich marignal.

Da stellt sich auch die Frage an die Linken, warum die Corona-Proteste rechtsoffen wurden. Mit der Parole "Masken auf und Abstand nach rechts", die auf den antifaschistischen Protesten am Samstag gezeigt wurde, wird das Dilemma schon deutlich, indem sie eine medizinisch diskutable Forderung mit einer Abgrenzung nach rechts gleichsetzt.

Die Antifanten schwimmen eigentlich immer gerne im Proteststrom mit und bilden sich dann gerne ein eine Art Speerspitze darzustellen. Nun stand der Haufen einmal alleine und wirkte wie Bücklinge des Systems.

Das eigentliche Dilemma ist doch ein ganz anderes:
Wir haben in einem Jahrbundestagswahl und halten uns, mit Verlaub, mit diesem Masken-Scheiß auf. Die Corona-Politik wird von den Ländern gemacht und trifft dort auf breite Zustimmung. Wer da etwas dagegen hat, der soll dann bitte vor Ort demonstrieren, aber dann verlaufen sich die 38 000 ganz schnell im Grundrauschen. Wahrscheinlich kann man nicht einmal in Berlin das Blatt drehen.

Wo sind die großen politischen Themen, für die der Bund wirklich der richtige Ansprechpartner ist? Wollen die Telepolis-Autoren wirklich den Parteien mit ihren Marketing-Sprechblasen die Politik überlassen?
Wie wäre es denn Mal mit dem Thema Endlager? Ja, dass sollte dieses Jahr eigentlich laufen. Nimmt ein Kanzler Söder dann den heißen Kandidaten Bayern aus dem Rennen? Da sollte man Mal etwas Öl ins Feuer gießen.
Genauso, wie beim Thema Refinanzierung der Corona-Kosten. Da glauben ja manche wirklich, dass die Hängematte zum Nulltarif zu haben war.
Themen über Themen...
Das ist viel spannender, als sich rechtes und linkes Unkraut anzuschauen.
Themen entziehen den Ideologen auch den Nährboden.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (31.08.2020 19:59).

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