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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Weltanschauung

Hier nun wird es offensichtlich. Schleim verwechselt Weltanschauung mit Philosophie. Die Anstrengung des Begriffs, die Begriffsarbeit will er nicht leisten, daher unterlaufen ihm Sätze wie dieser:

Es herrscht [im philosophischen Materialismus] ein Nihilismus, alle Standpunkt sind gleich sinnlos.

Die dann in seine Weltanschauung eingebettet werden:

Ohne moralische Orientierung werden Menschen im Endeffekt wohl schlicht das tun, was ihr Belohnungssystem aktiviert; und dies wiederum ist eine Folge angeborener Strukturen und sozialer Konditionierung. So sind sie immerhin gute Arbeitskräfte und Konsumenten.

Nihilismus als notwendige Folge von Materialismus darzustellen ist erstens falsch und zweitens polemisch. Moralische Orientierung gibt es auch in idealistischen Systemen nicht. Die gesamte Aufklärung ist damit sozusagen überfordert. Moralische Orientierung ist weder das Geschäft der Philosophie noch der Wissenschaft. Werturteile sind nicht letztbegründbar, es führt keine Brücke vom Sein zum Sollen. Schleim ist zuzustimmen, wenn er ausführt...

Selbst wenn wir von jedem Atom, subatomaren Teilchen, jedem Energiequäntchen im Universum Ursprung, Herkunft und Ziel wüssten und so eine Weltformel hätten, würde daraus nichts für Bedeutung und den Sinn unseres individuellen Lebens und als Menschheit folgen. Die Frage, wie wir richtig und gut leben und zusammenleben können, bliebe offen.

...doch spricht er damit bloss eine Binse aus. Individueller Lebenssinn ist nicht, wie Schleim zu unterstellen scheint, der heilige Gral der Philosophie, eben darin unterscheidet sie sich fundamental von Religion, die ein Orientierungsgerüst für Unsichere bereitstellt, wie man das Leben zu leben habe. Noch auch von Wissenschaft.

Auffallend ist, was in Schleims Überlegungen komplett fehlt. Nämlich eine soziologische Komponente, eine Reflexion des Sozialen. Er bleibt beim Individuum, als hätte Thatcher recht, die einst behauptete, so etwas wie Gesellschaft gebe es nicht. Dadurch bleiben viele Phänomene aussen vor, etwa Macht, Beziehungen, Interessen. Und daher auch soziale Strukturierung, die menschliche Lebenswelt imperativ prägt. Und es gerät ihm dann auch nicht vor die Augen, inwiefern bürgerliche Wissenschaft borniert ist, ja er nimmt sie als solche gar nicht wahr. Dies obwohl er ihre Fehlentwicklungen beklagt, deren Ursache er konsequenterweise in eine andere Richtung sucht, sich der Religion wieder annähernd, dem Gerüst, das er vermisst.

Noch etwas fehlt - der Begriff des Historischen. Schleims Welt ist wesentlich eine zeitlich statische, auch darin der bürgerlichen Wissenschaftsauffassung treu. Ohne die vierte Dimension ist denn auch ein ökologisches System nicht zu verstehen.

Der Unterschied zwischen Weltanschauung und Philosophie ist vergleichbar mit demjenigen zwischen Religion und Theologie, ein Sprung auf eine Metaebene, von der man den geistigen Überblick zu erhalten sucht. Damit ist stets eine Abstrahierung vom Individuellen verbunden.

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