Hier auf TP bin ich einer der wenigen, die unter ihrem eigenen Namen schreiben. Eine Entscheidung die, als sie vor fünfzig Jahren getroffen wurde, alternativlos war, da man ansonsten keine Kommentare in Zeitungen abgedruckt bekommen hätte. Ein wenig neidisch dachte ich immer an „Tiger, Panther & Co“, Kurt Tucholskys Pseudonyme, die alleine schon aus dramaturgischen Grünen, bzw. Gründen zur Förderung der Aufmerksamkeit eine Bereicherung für jeden kritischen Schreiber waren. Bei mir kam aber noch der Sonderfall dazu, dass ich viele Jahre als leidlich politischer Barde durch die Lande zog und mich auf der Bühne hinter keinem Nick verstecken konnte. Billigt man künstlerischen Äußerungen noch eine gewisse Narrenfreiheit zu, ist es damit aus, sobald man von allgemeinem Wehklagen über die Schlechtigkeit der Welt in konkrete politische Kritik wechselt und man Posten und Politiker beim Namen nennt. Da man als freier Geist auch nichts in Parteien, verloren hat, muss man ohne den Schutz der jeweiligen Mafia auskommen, brauchte aber in aller Regel im Nachkriegsdeutschland auch kein Schutzgeld zu bezahlen, wenn man Karriereverhinderung und gezieltes Ausgebremstwerden nicht dazu zählt.
Wer trotz dieser Erschwernisse aus Gewissensgründen nicht aufhört, der kommt heute zwar noch nicht nach Dachau, aber er kann mit Rufmord und Schikanen rechnen, durch eine Art Haberfeldtreiben von Oben, etwa durch bestellte Leserbriefe unter geliehenen Namen von Parteigängern & friends, die sich gerne den Mächtigen anbiedern. Dir platzt irgendwann der Kragen und du deutest in einem Leserbrief zwischen den Zeilen auf allseits bekannte Spezlwirtschaft hin. Der Absatz wird vom Zensor gestrichen und dann kommt die nächsten Eskalationsstufe, die politisch Mächtigen richtet einen Internetpranger gegen dich ein, manches deutet auf gezieltes Pingpong mit den Medien. Du wirst jetzt vielleicht auf Solidarität mit früheren linken und grünen Weggefährten rechnen. Doch wenn es brenzlig wird, ziehen alle den Schwanz ein. Alleine unter Nicknamen stehen dir Leute im Netz zur Seite. Doch diese Möglichkeit wurde mittlerweile schon völlig beseitigt.
Glücklicherweise ist es dir aber zuvor noch mit Glück und Verstand gelungen den Spieß erfolgreich umzudrehen, die politische Repression gegen dich ging nach hinten los. Doch wie es im politischen Schmutztheater eben so läuft, lässt die nächste Stufe der Eskalation nicht lange auf sich warten. Man sucht gezielt nach Leichen in deinem Keller, findet zwar nicht wirklich etwas, weiß aber, was dich schmerzt und lässt eine Behörde darin herumbohren.
Wenn wundert es, dass in den Folgejahren im Gäu das Aufkommen kritischer Leserzuschriften unter Klarnamen gegen Null ging. Das Lehrbeispiel, das man an dir statuierte, wurde ein durchschlagender Erfolg. Wenn nun dieselben politischen Kräfte generell jede durch Pseudonym geschützte Wortmeldung im Netz ausrotten wollen, dann kann ich nur davor warnen, auch diejenigen, die sich heute neben der Kanone sicher fühlen. Wie heißt es so lehrreich: Erst haben sie die Soundso abgeholt, egal, man war nicht Soundso. Als sie am Ende dich abholten waren auch keine Soundso mehr da, die dir hätten helfen können.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (20.05.2019 12:58).