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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: verstärkten russischen Angriffen

Hat sich rausgestellt: der Russe kam doch nie.

Die Sowjetunion ist nicht Putins Russland.

Der Russe kam dieses mal eben doch. Obwohl die meisten Russland"kenner" und -freunde das bis kurz vor Ultimo für völlig ausgeschlossen und für "Kriegshysterie" erklärten. Russland führt jetzt in der Ukraine ziemlich genau den Krieg, von dem die Nato immer gefürchtet hat, er werde eines Tages auf ihrem Territorium (vor allem in Deutschland) stattfinden. Mit BTGs, massiver Artillerie und Unmengen von Soldaten und immer mit dem Atomjoker in der Hand.

Das was Sie beschreiben ist die Welt des alten Ostblocks, wo z.B. die CSSR (Ungarn, DDR ...) es gemäß der "Breschnew Doktrin" eben hinzunehmen hatte, dass sie besetzt und die Regierung gestürzt wurde, wenn die von der Moskauer Linie abwich. Diese Welt ist aber Anfang der 90er untergegangen und außer den Russen weint ihr wohl keiner eine Träne nach. Zu Anfang nicht einmal die.

Der Auflösung des Ostblocks folgte eine Phase massiver Schrumpfung der NATO-Truppen im Zuge der "Friedensdividende" und gleichzeitiger Ausdehnung des Bündnisgebiets. Russland war in diesen Prozess eingebunden und erhielt mit der NATO-Russland-Grundakte einen Sonderstatus, auch wenn es nicht Mitglied wurde. Darüber wurde zu dieser Zeit aber ernsthaft diskutiert. In diesem Abkommen erkannte Russland die Bündnisfreiheit der Ex-WP Staaten bzw. Ex-Sowjetrepubliken ausdrücklich an und machte damit erst den Weg für die Osterweiterung frei. Auf "den Russen" wartete in dieser Zeit bestimmt niemand in der Nato, Russland bekam Spenden und Hilfslieferungen aus dem Westen wie ein Drittweltland. Man glaubte, dass der Ost-West Gegensatz für alle Zeiten überwunden sei und Russland aktiv an der europäischen Friedensordnung mitwirken würde. Diese Phase endete mit der Rede Putins bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2007. Ab da war klar, dass Putin für Russland eine andere Rolle anstrebte, nämlich als Herrscherin einer restaurierten Einflusssphäre, in der Russland alleine die Regeln bestimmt und in der das "westliche" Rechtssystem des friedlichen Zusammenlebens, wie es in der KSZE ausformuliert ist, nicht gilt. Eine Art Ostblock 2.0 ohne sozialistischen Überbau.

Warum war der NATO-Einsatz in Jugoslawien ein Fehlschlag? Letztlich wurde das Ziel, im Kosovo einen Genozid wie in Bosnien zu verhindern, erreicht. Serbien wurde daran gehindert, sich die Staaten Ex-Jugoslawiens wieder einzuverleiben. Dass der Einsatz teilweise völkerrechtswidrig war bedeutet nicht, dass er seine Ziele nicht erreicht hätte. Ob die Bombardierung Serbiens letztlich mehr Leben gekostet oder gerettet hat ist Spekulation - im Bosnienkrieg starben 100-mal so viele Zivilisten wie bei der Bombardierung Serbiens.

Auch der Afghanistan Einsatz war kein kompletter Fehlschlag - es gelang 20 Jahre lang, das Land als Basis für Terrorgruppen wie Al Quaida weitgehend auszuschalten und eine Art afghanische Weimarer Republik zu bauen. Auch die ist letztlich gescheitert, sogar mit weit schlimmeren Folgen als in Afghanistan. Und trotzdem war sie die erste Demokratie auf deutschem Boden und ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Bundesrepublik.

Man mag darüber spekulieren, ob die Wandlung der NATO zu einer Verteidigungs- zu einer Interventionsstreitmacht wirklich sinnvoll war. Der entscheidende Aspekt für die Weiterexistenz der NATO bleibt doch, dass Russland sein Militär und seine Atomstreitmacht nicht abrüstete und die Demokratisierung wieder abbrach. Damit war klar, dass Russland kein europäisches, postsozialistisches Land unter vielen anderen werden wollte und dass die russische Grenze in Europa weiterhin eine Systemgrenze bleiben würde. Damit erhielt die NATO ihre ursprüngliche Existenzberechtigung zurück, nämlich das militärische Übergewicht Russlands in Europa durch ein Bündnis und die Präsenz der USA auszugleichen.

Nur hatte man es jetzt nicht mehr mit einer saturierten, defensiv am Erhalt des Status Quo interessierten Supermacht wie der Sowjetunion zu tun, sondern mit einer aggressiven, gedemütigten "Regionalmacht", deren Ziel eine Restauration ihrer früheren Stellung in Europa ist.

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