etwasvernunft schrieb am 02.04.2021 15:24:
Mein Beitrag war nicht dazu gedacht, eine tiefgründige Diskussion auszulösen. Er zielte darauf ab, die Machbarkeitsillusion zu kritisieren, die darin besteht, die Gesetze der Physik, deren Anwendung zur spezifischen Problemlösung in unserer technischen Zivilisation so erfolgreich ist, als universell auf derart komplexe Systeme wie das Klima anwendbar zu behaupten.
Abseits unseres Bewusstseins über die Grenzen unseres Wissens bewegen wir uns hier ja im Nebelreich von Spekulation und Analogien. Ich will mal folgende versuchen: Kaum jemand hat die Negativität der menschlichen Geschichte so detailliert und skrupellos in den Blick genommen wie Marx - um ihr zu opponieren. Ich finde es schillernd, dass er sich im Modus der Kritik zu einem zumindest möglichen Geschichtsoptimismus hin zum Verein freier Menschen auf Grundlage der durchs Kapital historisch entwickelten Produktivkräfte durchrang. Nicht nur das: Beides ist seit seinen Frühschriften innig aufeinander verwiesen, die Hoffnung auf eine mögliche andere Welt und der schonungslose Blick auf die wirkliche aktuelle Welt. Das ist kein Zufall, sondern wird von Adorno deutlich analysiert:
Beides, Körper und Geist, sind Abstraktionen von ihrer Erfahrung, ihre radikale Differenz ein Gesetztes. Sie reflektiert das historisch gewonnene ›Selbstbewußtsein‹ des Geistes und seine Lossage von dem, was er um der eigenen Identität willen negiert. Alles Geistige ist modifiziert leibhafter Impuls, und solche Modifikation der qualitative Umschlag in das, was nicht bloß ist. Drang ist, nach Schellings Einsicht*, die Vorform von Geist.
(Adorno, Negative Dialektik, so ungefähr im Übergang vom zweiten zum dritten Drittel, für exaktere Angabe gerade zu faul)
Dass dem Drang Erfolg beschieden ist, steht für Marx auch nach eineinhalb Jahrhunderten noch aus, aber einige von uns Nachgeborenen bleiben da am Ball.
Kommt der Gaia-Hypothese eine Realität zu, lässt sich das bspw., ist ja Karfreitag, in Jesu Hohelied auf Liebe, Glaube, Hoffnung deuten: Klar, Gaia kann locker ohne uns, wollte sie jetzt aber etliche Millionen Jahre nicht. Und soviel wir vermuten, schlägt sie auf einzigartige Weise in uns die Augen der Vernunft auf. Auch wenn wir sie schinden wie Jesus am Kreuz, gibt es Anlass zur Hoffnung, dass sie uns wie er lieb hat. Das würde deine und meine Skepsis hinsichtlich unseres Machbarkeitswahns relativieren: Was uns nicht zukommen mag, mag ihr zukommen und damit vielleicht auch uns gemäß ihres Durch-uns-Hindurch. Klar, das ist nicht mehr als Liebe, Glaube, Hoffnung, weit weg von Wissenschaft. Aber es ist halt nicht unmöglich, dass es sich so verhält.
Nehmen wir diese Spekulationen für voll, ergibt sich mit Blick auf die Umweltdiskussionen folgende Konstellation: Der Machbarkeitswahn des fossilen Kapitalismus funktioniert teilweise, blamiert sich aber auch andauernd an seinen ewigen Skrupellosigkeiten gegenüber allem Kreatürlichen. Der Machbarkeitswahn des Erneuerbaren aber ist historisch in die Zukunft offen und könnte getragen sein von Kapazitäten, die nicht die geistigen unserer kleinen Fleischsäcke sind. Nehmen wir die Spekulation für voll und kommt ihr Realität zu, wäre sogar machen ohne einen Wahn von Machbarkeit drin, so etwas wie Urvertrauen.