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  • picard1701

676 Beiträge seit 29.11.2003

Zwei Entwicklungen – zwei Ursachen?

Mah (1) schrieb am 10.02.2020 10:44:

Kühnert ist erst seit zwei Jahren irgendwie "führend" dabei und auch erst seit einer noch kürzeren Zeit irgendwem ausserhalb der SPD bekannt. Er ist eher Begleiterscheinung als Ursache.

Kevin Kühnert ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung in allen Parteien, derzufolge Kandidaten für Führungspositionen bevorzugt aus der eigenen Hierarchie ausgewählt werden.

Die wirkliche Ursache liegt in der rot-grünen Regierungszeit mit den Hartz IV-Gesetzen und einer generellen Abkehr von der ursprünglichen Idealen und Wählerschichten.

Richtig, die Hartz IV-Gesetzgebung dürfte wohl das Schlüsselereignis gewesen sein, an dem die Abkehr von einem eigenständigen Profil und der Adaption der marktliberalen Ideologie zum 'Konsens' der heutigen Mitte vollzogen wurde.

Du hast ja zwei Ursachen benannt, wie bedingen diese einander, oder gibt es vielleicht eine gemeinsame dritte Ursache?

In dieser Hinsicht war für mich das Konzept „Capital As Power“ von Shimshon Bichler, und Jonathan Nitzan <http://bnarchives.yorku.ca/259/2/20090522_nb_casp_full_indexed.pdf> sehr aufschlussreich, die Kapital von der Domäne des Ökonomischen abstrahierten und als generellen Modus von Macht betrachten.

Schon 1911 beobachtete Robert Michels, das aufgrund der Repräsentation von Gruppen durch Einzelne sich zwangsläufig hierarchische Strukturen herausbilden, in der die Vertreter ihre Entscheidungen zunehmend auf den Erhalt dieser Hierarchie ausrichten und formulierte daraus das 'Eherne Gesetz der Oligarchie'. Ein Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, dass die ursprünglichen Ziele der Gruppe zunehmend in den Hintergrund treten.

In 'Growing through Sabotage' schreiben Nitzan und Bichler (meine Übersetzung):

Heutzutage wird der Begriff "Investition" verwendet, um die Schaffung neuer Produktionskapazitäten zu bezeichnen. Aber das war nicht immer der Fall. Im feudalen Europa, wo der Begriff ursprünglich herkommt, hatte Investition - oder "Investitur", wie sie damals genannt wurde - nichts mit Produktion zu tun. Stattdessen bezeichnete sie schlicht und einfach die legale Beschlagnahmung; eine exklusive, übertragene Macht über eine bestimmte Domäne (Bloch 1961: 173; 349; Ganshof 1964: 97; 126; Nitzan und Bichler 2009: 227-228). Und wie Veblen hervorhob, bleibt dieses wesentliche Merkmal unverändert: Investitionen kapitalisieren Einnahmen, und die Einnahmen werden immer durch das unveräußerliche Recht auf Sabotage generiert und abgesichert (Veblen 1923: 65-66).

Ein ähnliches Verhalten der in-group Mitglieder dürfte so auch in anderen hierarchisch strukturierten Organisationen zu beobachten sein. Berichte von Forenten in vielen anderen Threads hier im Forum können auf diese Weise interpretiert werden.

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