Jedes Herrschaftssystem / jedes Wirtschaftssystem benötigt mittel- bis langfristig Legitimität durch einen maßgeblichen Teil der Bevölkerung. Terror und Angst alleine sorgen nie für das Überleben einer Regierung / eines Wirtschaftssystems.
Ein König ist nicht deshalb ein König, weil Gott ihn eingesetzt hat, sondern weil ein wesentlicher Teil der Bevölkerung glaubt, er sei der König. Glaubt diese es nicht mehr, gibt es auch keinen König mehr.
Jedes Herrschaftssystem muss über eine glaubwürdige Geschichte / Ideologie verfügen. Diese muss keinesfalls wahr oder in sich schlüssig sein, sie darf aber nicht offensichtlich unwahr oder offensichtlich unschlüssig sein. Und die Geschichte / Ideologie muss in der Lage sein, auch auf neue Fragen Antworten zu geben. Sind diese nicht möglich, wird seitens der Herrschenden abgelenkt.
Wenn abgelenkt werden muss, fangen aber die Probleme für einen Großteil der Bevölkerung an. Ablenkung kann entweder bedeuten, dass ein äußerer Feind gefunden und ein Krieg begonnen wird. Oder indem eine innere Minderheit als Feind erklärt wird. Oder aber – wesentlich angenehmer – indem Scheindiskussionen über das neue iPhone, über Fußball etc. geführt werden. Oder – ebenfalls nicht gegen eine andere Gruppe gerichtet - indem viele kleine Einzelinteressen definiert werden, die die Kraft von vielen binden, ohne dass grundlegende Diskussionen über das Wirtschaftssystem oder die Formen der politischen Teilhabe der Bevölkerung geführt werden.
Alle diese Ablenkungen werden auch bei uns im Westen praktiziert, auch Krieg und das Erfinden von inneren Feinden. Man denke an den Irakkrieg, den Afghanistankrieg (externe Feinde) oder den Umgang mit Moslems / Arabern.
Da unser Wirtschaftssystem alles andere als stabil ist - alleine die Grundbedingung des grenzenlosen Wachstums verunmöglicht es, dass das System stabil sein kann – ist davon auszugehen, dass zukünftig Ablenkungen in ihrer gesamten Bandbreite immer häufiger praktiziert werden. Was nicht unbedingt beruhigend ist.
Hinzu kommt – gerade bei den Demokratien im Westen – wesentlich hinzu, dass den Regierenden ihren Entscheidungsgewalt vom Volk nur auf Zeit übertragen wurde. Und zwar unter der Voraussetzung, dass alle politischen Entscheidungen transparent sein müssen. Weiter haben wir – als Volk, das nicht im Rampenlicht steht - den Anspruch, dass unser Privatleben für Staat, Konzerne und andere eben nicht transparent sein darf.
Wenn wir ehrlich sind, verhält es sich genau anders herum: staatliche Entscheidungen sind alles andere als transparent, der Bürger ist es aber vollständig – gegenüber google, facebook, der NSA usw. Und dies ist nicht gottgegeben. Und nicht unbedingt gesund für unsere Gesellschaft.
Und für uns, denn ein umfassender Krieg ist nun wirklich nicht attraktiv.
Alternativen?
Selbstverständlich gibt es Alternativen. Frei nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: „etwas besseres, als den Kapitalismus findest du allemal“. Was es zunächst braucht, ist ein allgemein verbreitetes Bewusstsein, dass der Kaiser nackt ist. Dazu braucht es „Kinder“ / Unvoreingenommene, die sich nicht von Status bzw. dem Trott ablenken lassen.
Was auch wichtig ist: Es gibt keine Patentlösungen, nicht nur einen Weg hin zu einer stabilen, gerechteren und für die Mehrheit befriedigenderen Gesellschaft. Die Aussage von André Gide
Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.
ist daher aus meiner Sicht sehr hilfreich.
Zum Schluss noch ein Zitat:
Sich nie an die unsagbare Gewalt und gewöhnliche Ungleichheit des Lebens um sich herum gewöhnen.
Freude auch an den traurigsten Orten suchen.
Die Schönheit bis in ihren Kern verfolgen.
Nie vereinfachen, was kompliziert ist,
und nie verkomplizieren, was einfach ist.
Stärke respektieren, aber niemals schiere Macht.
Vor allem aber hinschauen. Versuchen, hinter die Dinge zu schauen.
Nie den Blick abwenden.
Und niemals vergessen.
Arundhati Roy