Für Autorin Blume ist es bereits klar: wir stecken mittendrin im Massenaussterben. Ich kann als studierter Ökologe allerdings anderes kund tun. Diese "Erkenntnis" klappt nämlich nur, wenn man - gemäß dem heutigen wissenschaftlichen Standard in der Klimaforschung - die Ergebnisbewertung per Abstimmung herbeiführt. Man fragt, am besten auf einer großen Tagung von Fachleuten oder wesensverwandten Zeitgenossen, wer ist dafür, das bereits die Hälfte der Arten ausgestorben ist und wer ist dagegen? Ich will gar nicht ausschließen, dass man bei solchen Gelegenheiten interessante Ergebnisse bekommt, die auch Frau Blume nett findet. Tatsächlich hat ein Abstimmungsverhalten aber mit Wissenschaft so gar nichts zu tun. Wir dürfen das gerne politische Meinungsbildung nennen oder Wunschdenken für Alarmisten und Aktionisten. Was wir wissen ist einzig: wir Menschen überformen weltweit die Ökosysteme und es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass wir in die natürliche Evolution und in die Diversität eingreifen. Allein im Pleistozän und Holozän kennen wir das Aussterben von Großsäugern, an denen Homo sapiens und H. neandertaliensis vermutlich beteiligt waren. Auch hat manche spezifische Inselfauna durch die Nahrungsmittelaufnahme der Seefahrer keine Chance gehabt. Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass wir so gut wie nichts wissen. Abgesehen von ausgewählten spektakulären Arten aus der Klasse der Säuger, Vögel die man als ausgestorben bewertet (z.B. tasmanischer Tiger, Dodo), gibt es keine Belege für ausgemerzte Pflanzengattungen bzw. Gattungen aus den Faunenreichen. Vielmehr ist uns gegenwärtig überhaupt nur ein Bruchteil der Arten bekannt, insbesondere bei den Wirbellosen, Pilzen oder Algen uvm. Wir stochern nach wie vor im Unbekannten, selbst Rote Listen geben oft nur rudimentär regionales Wissen wider. Allerdings sind wir Treiber in der Evolution, allein dadurch, weil wir Organismen und Gene zusammenbringen, die nicht zusammen gehören. Wir alle kennen die Geschichten von Neozoen und Neophyten und kennen jetzt auch Mutationen von Coronaviren, die ohne H. sapiens vielleicht nie stattgefunden hätten. Wir sollten also zunächst lernen uns als Bestandteil der Evolution zu begreifen. Das ist noch lange kein Grund zum Jammern oder zum Kopf in den Sand stecken, denn die Diversität war in der ganzen Erdgeschichte nie höher als heute. Vielmehr sollten wir uns mit pragmatischer Vernunft an praktische Lösungen machen. Das betrifft Schutzgebietskonzepte wie auch Artenhilfsmaßnahmen. Zulässig wäre es dann plausibel anzunehmen, dass von einem erfolgreichen Schutz z.B. von Berggorillas und Sibirischen Tigern auch andere gefährdete Organismen dieses Lebensraums (ob bekannt oder noch nicht bekannt) profitieren werden. Von alarmistischen Märchenstunden und Weissagungen zum Diversitätsverlust sollte man aber Abstand nehmen.
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