Pixelpusher28 schrieb am 21.02.2022 10:25:
Wie soll ich mir dieses "ohne Weiteres" also vorstellen? Mehr Armut hier, weniger Armut dort? Andere europäische haben bereits bei weit geringeren Energiepreisen eingegriffen, aber hier in Deutschland scheint sich die soziale Frage überhaupt nicht zu stellen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, dann meinen Sie mit dem Begriff Soziale Frage die sich verschlechternden Lebensbedingungen für die Mehrheit der Durchschnittsverdiener (mit anderen Worten: die zunehmende Verarmung der Bevölkerung).
Das ist jedoch nur 1/4 von dem, was der historisch gewachsene Begriff Soziale Frage eigentlich bedeutet: (nämlich) der Widerspruch zwischen der Wirklichkeit ( = die zunehmende Kluft zwischen arm und reich bzw. der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit) und dem Gesellschaftsideal / "der sozialen Idee" ( = Menschenrechtsidee; bzw. konkret: die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte).
Vgl. hierzu (mit ausführlichen Nachweisen):
https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Industrielle_Revolution#Definition_Soziale_Frage
Die Soziale Frage bezeichnet den wachsenden Gegensatz von massiven Einkommens- und Vermögensgewinnen für Kapitaleigner und sich verschlechternden Lebensbedingungen für die Mehrheit der Durchschnittsverdiener. [21][22] [23]
Hier in Deutschland wurde der Begriff Soziale Frage in den 1970er Jahren von Heiner Geißler & Kurt Biedenkopf "umdefiniert": die alte soziale Frage (den Gegensatz von Kapital und Arbeit) gäbe es angeblich nicht mehr, sondern eine "neue soziale Frage" ...
In der Propagenda-Plattform (© by wikihausen.de) Wikipedia, zu deren Nutzer bekanntlich viele Schüler zählen, werden die Leser - seit nunmehr 10 Jahren - "zugetextet" mit detaillierten Infos zu sozialen Missständen im 19. Jahrhundert (eine Begriffsdefinition fehlt, Literatur & Einzelnachweise sind mehr als ungenügend!), um anschließend die "Katze aus dem Sack zu lassen": die Soziale Frage jibbet nich (mehr):
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Soziale_Frage&type=revision&diff=105468292&oldid=105460686
Ende des Schlagworts „Soziale Frage“ => Bedeutungsverschiebung / Weitere Verwendung des Begriffs
Weil - so die Wikipedia - "wir" haben jetzt eine neue soziale Frage ...
In diesem Kontext: Angela Merkel jubilierte im Jahr 2010
( ca. 3 Jahre vor Erscheinen "Das Kapital im 21. Jahrhundert" von Thomas Piketty
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Das_Kapital_im_21._Jahrhundert&oldid=146159706#Ausgangspunkt)
https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-zum-80-geburtstag-von-kurt-biedenkopf-550044
[...] Ich erinnere nur an die Neue Soziale Frage, die er gemeinsam mit Heiner Geißler in den 1970er Jahren thematisierte. Im Rückblick war das ein Geniestreich – intellektuell wie strategisch. Denn fortan ging es weniger um den klassischen Gegensatz von Arbeit und Kapital als vielmehr darum, die Chancen auf soziale Teilhabe derjenigen zu verbessern, deren Anliegen sich durch keine Interessenverbände Gehör verschaffen ließen. Das heißt, es ging darum, Menschen, deren soziale Sicherung nicht unmittelbar aus einem Arbeitsverhältnis abgeleitet werden konnte – seien es Langzeitarbeitslose, Rentner, oder ältere Alleinstehende –, in diesem Land im Sinne des Gemeinwohls eine Stimme zu geben. Die Neue Soziale Frage betraf letztlich den gesamten Bereich mitmenschlicher Beziehungen. Auch in heutigen Zeiten, in denen der demographische Wandel immer spürbarer wird, ist das eine hochaktuelle Frage. [...]
In dem o. a. Zitat lässt sich sehr gut erkennen, dass "man" mit dem Begriff >neue soziale Frage< ein Instrument gefunden hat, um diverse - in Armut lebende - Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen (Erwerbstätige gegen Arbeitslose, die junge Generation gegen Rentner etc.) - getreu dem Motto: Teile und herrsche ...
P.S.:
Der zentrale Aspekt - nämlich die Existenzunsicherheit der Bevölkerung - ist sozusagen der rote Faden in der folgenden Darstellung:
Soziale Frage im historischen Kontext
https://archive.fo/6BG9x1.) Soziale Frage im 19. Jahrhundert (Epoche: Erste Industrielle Revolution)
2.) Soziale Frage im 20. Jahrhundert (Epoche:Zweite Industrielle Revolution)
3.) Soziale Frage im 21. Jahrhundert (Epoche: Dritte Industrielle Revolution)
P.P.S.
Richtig gut ist übrigens die 1. Version des Artikels Soziale Frage in der de:Wikipedia:
Die Soziale Frage bezeichnet die Diskrepanz zwischen dem Ideal einer vernünftigen Gesellschaftsordnung, die allen Menschen einen gerechten Anteil an den materiellen und inmateriellen Gütern gibt und den tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnissen.
Version vom 12. April 2004
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Soziale_Frage&oldid=1062911
--- EDIT ---
In diesem Zusammenhang ein Video-Tipp:
Georg Schramm: "Die Party ist zu Ende"
https://www.youtube.com/watch?v=9ERvHwAW2l4
bzw.
Georg Schramm - Aufschwung
http://www.youtube.com/watch?v=CFrn2JYAdJw
Vermögensverteilung 2007 vs Vermögensverteilung 2002
(Datenquelle = DIW Nr. 4 / 2009)
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Das Posting wurde vom Benutzer editiert (21.02.2022 17:15).