Alles ist Meinung, nichts ist Fakt.
Das ist auf einem wissenschaftsphilosophischen Level natürlich absolut richtig, zieht aber jedem Versuch, faktenbasiert zu handeln den Boden unter den Füßen weg. Wie kann ich mein Handeln auf Fakten basieren, wenn es nur Meinungen gibt?
Da muss man eben akzeptieren dass nicht jede Meinung gleich viel wert ist.
Die Meinung eines Biologieprofessors ist da eben mehr wert als die Meinung von Klaus auf youtube. Und wenn diese Meinung von den meisten Wissenschaftlern geteilt wird, ist sie eben wahrscheinlich dass sie an den tatsächlichen Fakten (auch wenn wir diese nicht kennen) am nächsten dran sein dürfte.
Nur weil die Behauptung eines einzelnen Wissenschaftlers, dass es keinen Äther gibt, von der Mehrheit der damaligen Wissenschaft als spinnerte Idee verlacht wurde, heißt das nicht, dass jede spinnerte Idee eines einzelnen Wissenschaftlers auch richtig ist. Aber sie kann es sein. Ist sie aber wahrscheinlich nicht. Außer wenn sie es ist.
Was heißt das jetzt für unser Bedürfnis, Handlungen rational mit Fakten zu begründen? Dass wir hier Doppeldenk(*) brauchen: Wir müssen gewisse Meinungen als so-gut-wie Fakten bewerten, aber gleichzeitig akzeptieren, dass sie komplett falsch sein können.
Im Physikunterricht unterrichten wir Newtons Bewegungsgesetze und das Bohr'sche Atommodell immer noch als Fakten, obwohl wir wissen, dass die tatsächlichen Fakten komplizierter sind!
Wo ich diesem Artikel aber recht gebe: Das kann man nur, wenn man sich hier den Unterschieden sehr bewusst ist und sie (wenn man auf diesem Level darüber diskutiert) auch korrekt benennen und auseinanderhalten kann. Dann, und nur dann, kann ich es mir in der Praxis leisten, mit den entsprechenden Begründungen(**) aus den Meinungen ein Gedankenmodell zu bilden, das ich für korrekt Entscheidungen als Grundlage - auch anstatt Fakten - verwenden kann.
(*) Auch wenn es bei Orwell die Grundlage der Dystopie bildet, sind doch die meisten real existierenden Systeme so komplex, dass das (vermeintliche) Gegenteil einer wahren Behauptung eben doch nicht zwingend falsch ist. Es ist meistens nicht das genaue Gegenteil sondern wird nur auf den ersten Blick so wahrgenommen weil wir versuchen, alles auf eine binäre schwarz-weiß-Sicht zu reduzieren.
(**) Entweder weil ich weiss das es zwar wahrscheinlich falsch, ich aber nach nur ein paar Monaten Forschung nichts besseres habe. Oder weil etwas zwar nicht bewiesen, aber seit 100 Jahren auch nicht widerlegt wurde. Oder weil etwas zwar schon überholt ist, ich aber innerhalb meiner Randbedingungen die Verfeinerungen ignorieren kann.