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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Also ehrlich, Alexander

"Allerdings adressiert sich das bedingungslose Grundeinkommen damit
an Zeitgenossen, die Lohnarbeit als eine fremdbestimmte Fron ansehen,
aber die Selbständigkeit dennoch derart unattraktiv finden, dass sie
nicht kündigen und risikoreich investieren möchten."

Dieser Satz ist quatsch. Selbstständigkeit ist heute, zumindest in
Deutschland, zu einem großen Teil fremdbestimmte Fronarbeit für die
Obrigkeit in Form von Ämtern (vom Finanzamt bis zum statistischen
Bundesamt), Kammern (Zwangsmitgliedschaft ohne echte Gegenleistung),
staatsnahen Organisationen (Kassen, Verbände u.ä.) sowie
staatsbevorteilter Absahner (Anwälte, Steuerberater).

Der oft beklagte Zustand, daß die Schwarzarbeit überdimensional
zunimmt ist doch dem Umstand geschuldet, daß für einen
Selbstständigen, dessen Arbeiten legal abgerechnet werden, erhebliche
Mehrkosten anfallen - direkt in Form von bürokratischem Support durch
Dritte (Buchhalter) oder indirekt in Form von erbrachter Arbeit ohne
Vergütung (allein der Papierkrieg eines Selbstständigen ist heute
enervierend und macht den Löwenanteil des Arbeitstages aus). 

Ich bin gerne selbstständig - meine Intention vor Jahren war, daß ich
tatsächlich eigenbestimmt arbeiten kann. Das Erste, was ich erleben
durfte, war der Shitstorm, den Kammern, Kassen und
Berufsgenossenschaften über mir abgeladen haben. Das Finanzamt allein
beschäftigt mich quartalsweise mindestens eine Woche. Der
Jahresabschluß zählt noch mal so viel Zeit. Arbeit auf
Handschlagbasis, ob nun Leistung gegen Leistung oder gegen Bargeld
läßt mir, bei radikalsinkenden Gemeinkosten, wesentlich mehr
Einkommen übrig.

Ich verstehe, daß sich die Leutesowas nicht mehr antun. Wozu auch?
Man wagt die Selbstständigkeit doch nicht, um sich vom Informatiker,
Handwerker oder Designer zum Ärmelschoner zu entwickeln - man will
üblicherweise in dem Beruf, in dem man gut ist und den man mag,
tatsächlich auch selbstbestimmt agieren. In Deutschland ist das kaum
mehr möglich - entweder man arbeitet, um das Geld für
Dienstleistungen aufzubringen, die man nicht will, die man nur
braucht, weil die entsprechenden Leistungen zwangsweise von der
Obrigkeit verlangt werden und die nichts mit dem eigentlichen
geldwerten Leistungen zu tun haben. Oder man erbringt die Leitungen
gleich selbst. Wozu dann Selbstständigkeit? Damit man noch mehr Zeit
am Schreibtisch verbringt? Der normale Angestellte arbeitet
wenigstens in dem Fach, das er gelernt hat. Der Selbstständige
arbeitet die Merhzahl der Zeit fachfremd, weil die meiste Leistung,
die er erbringt, eben nicht die Leistung ist, zu derem Zweck er sich
selbstständig gemacht hat.

Die Kritik, daß Lohnarbeit als fremdbestimmte Fron angesehen wird
kann ich nachvollziehen - das aber ist ein Problem, das
systemimmanent ist. Der Homo economicus muß zur Deckungseiner
biologischen Bedürfnisse primär als ökonomische Entität agieren -
mithin Geld verdienen. Vorlauf bekommt er nicht. Nur ändert die
Selbstständigkeit daran nichts, der Homo economicus wechselt nur den,
dem er Fronarbeit zu leisten hat. Es ist wie der Wechsel von
Sklaverei (abhängige Beschäftigung) zu Leibeigenschaft
(Selbstständigkeit in überbürokratisierten Gesellschaften), die
selbstbestimmte, fachlich orientierte Tätigkeit macht nur den
kleinsten Teil der Selbstständigkeit aus.

Stellt sich schlußendlich die Frage: Warum soll ein Fronarbeiter, der
seine fachspezifische Tätigkeit zum Vorteil eines Dritten ausübt, zur
fachfremden Fronarbeit zum Vorteil der Staatsbürokratie wechseln?

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