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mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Die Verkehrswende haben wir Rot-Grün zu verdanken: Agenda 2010

Früher war alles besser.
Oder zumindest nicht so schlecht.

Früher, da gab's mal einen Sozialstaat und "Zumutbarkeitsgrenzen". Das war, bevor Rot-Grün die Regierungsverantwortung übernahm und mit Agenda 2010 den Sozialstaat schliff und die Zumutbarkeitsgrenzen salopp mit zwei Aussagen kassierte: "fordern und fördern" sowie "sozial ist, was Arbeit schafft".

Seither ist es zumutbar, bis zu 3 Stunden täglich im Pendelverkehr zu verbringen (anderthalb Stunden pro einfache Strecke). Es gibt aber keine wirkliche Begrenzung der Pendeldistanz - wer also an einem wichtigen Autobahndrehkreuz wohnt, kann bei der maximal zumutbaren Pendelzeit leicht 100+ km pendeln - solange es in anderthalb Stunden schaffbar ist. Hier in Süddeutschland sieht das dann eben so aus, dass der Elektriker aus Ulm in Augsburg schaffen geht, der Elektriker aus Augsburg aber nach Ulm zum Arbeiten fährt. Zwei Arbeitnehmer, die sinnlos durch die Welt pendeln, weil sie in der eigenen Stadt keinen Job finden.

Die Verkehrswende Marke Rot-Grün hieß damals "Flexibilität und Mobilität". Sie zwingt noch heute Menschen in den Pendelverkehr, weil es schlichtweg nicht mehr für den Staat "zumutbar" ist, den Menschen die Freiheit zu überlassen, wo sie leben dort auch arbeiten gehen zu dürfen. Ja, es gibt sie, die Erzieherinnen und den Einzelhandelskaufleute, die zwischen Städten rumpendeln, obschon sie in der eigenen Stadt problemlos Arbeit finden müssten. Aber ist nicht. Und so fährt eben eine Erzieherin 25km in die nächste Stadt in eine städtische Einrichtung, obwohl keine 5 Minuten Fußweg entfernt eine KiTa offene Stellen ausgeschrieben hat.

Long story short?

Da wir ja nun endlich erkannt haben, dass der Austausch des Antriebs keinen Einfluss auf die Verkehrswende hat und E-Autos nunmal nicht wirklich umweltfreundlicher sind als konventionelle Fahrzeuge (jedenfalls solange man repräsentative Dickschiffe produziert statt kleine Cityflitzer, Kleinwagen und Familien-Vans) und auch die ganzen "hippen" Alternativen nicht einmal in Städten richtig funktionieren, müssen wir wohl nun endlich die Elefanten im Raum benennen:

Problem Pendelverkehr.
Problem Schwerlastverkehr.
Problem Zustellverkehr.

Alle drei Dinge haben extrem zugenommen. Ersteres wegen der Rot-Grünen Verkehrswende im Rahmen der Agenda 2010, zweiteres wegen der EU-Osterweiterung und "Just-in-Time-Produktion", welche auf Lager verzichtet und letzteres wegen des Online-Handels und der Privatisierung des Zustellergewerbes.

Diese drei Dinge ließen sich elegant reduzieren, wenn man endlich das goldene Kalb "Wirtschaft" mal ein bisschen stutzen würde und wieder mehr Menschsein zuließe.

Das fängt u.a. an, Arbeit wieder eher vor Ort zu schaffen und damit die Pendelstrecken zu reduzieren. Aber auch die Einführung einer bundesweiten 4-Tage-Arbeitswoche würde helfen, die Verkehrswende einzuleiten: weniger ist mehr. Wer 3 Tage lang sich erholen kann, ist leistungsfähiger, als wenn man 5+x Tage die Woche antreten muss. Es gibt ja auch Berufe mit Dauerarbeitslast von 10 Tagen (u.a. im Pflegebereich), mit Schichtmodellen aka "rollende Woche", die mit einer Frühschicht beginnen und einer Nachtschicht (in den Samstag hinein) enden, damit das Wochenende netto nur aus einem echten Erholungstag besteht. Im Einzelhandel beliebt sind die geteilten 5-Tage-Wochen - man ist zwar offiziell nur an 5 Tagen im Laden, oft mangels Mitarbeiter aber gern mal 6. Und wenn es nur die 5 Tage sind, dann ist der Samstag eben Dienst und dafür am Mittwoch mal frei. Erholungseffekte gleich Null.

Die ganze Just-in-Time-Produktion gehört auf den Müllhaufen der Geschichte, es gehören wieder Lager aufgebaut. Dann sind auch mal so Dinge wie "Lieferkettenprobleme" wie dieser Tage leichter zu kompensieren. Wenn natürlich das Produktionsmaterial 1:1 vom Wareneingang in die Fertigung gebucht wird und nur wenige Stunden vergehen, bis dann das Material verarbeitet wird, dann ist jeder Lieferengpass direkt verantwortlich dafür, wenn die Bänder stillstehen.

Wenn aber mit Lagern gearbeitet wird, können auch die Anzahl der Lieferfahrten reduziert werden. In meinem aktuellen Unternehmen kommen halt im Laufe des Tages vier verschiedene Zusteller an, die Dinge ausliefern und Dinge mitnehmen. Der Puffer für Wareneingang und -ausgang beträgt immerhin 2 - 3 Tage. Aber gäbe es einen Monats-Puffer bei eingehenden und ausgehenden Lieferungen, müsste man keine Zusteller wie DHL, GLS & co bemühen, sondern könnte auch einen 40-Tonner mit Speditionsauftrag einsetzen. Aus 4x5 Lieferfahrten pro Tag würden dann vielleicht 2 - 3 Speditionsfahrten im Monat.

Und alles, was so an Transitfahrten von Polen, Tschechien usw. durch Deutschland nach Frankreich, Luxemburg & co fährt, gehört direkt an der Grenze auf die Schiene verlastet. Aber das nur anbei.

Die Verkehrswende funktioniert nur, wenn katastrophale Irrtümer in Wirtschaft und Gesellschaft beseitigt werden. Das ist möglich. Das ist sogar relativ einfach. Aber es setzt eben voraus, dass man geltende Maxime der modernen Betriebswirtschaft direkt aus dem Fenster wirft und wieder auf Methoden zurückgreift, die vor 30 Jahren gut funktioniert haben. Und ein Anfang wäre getan, wenn man die ganzen Betriebswirte mal auf die Straße setzt, die außer "Kostenoptimierung" nix gelernt haben in ihrem Studium.

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