Lieber HaPeR, eine Richtigstellung

(PS.: Ich habe echt keine Ahnung, welche Leute Dich warum für Dein Posting bashen, ich war's nicht.)

HaPeR schrieb am 17.05.2021 21:49:

Schuldgefühle

Religionen wollen die, weil sie Menschen in Abhängigkeit von religiösen Apparaten bringen.
Exekutive und Jurisdiktion wollen die, weil sie ihnen die Arbeit erleichtert.
Politiker*innen wollen damit Menschen manipulieren.

Insofern und insoweit das stimmt, ist zu fragen, auf welche Weise solch ein Wille zur Geltung gebracht wird.
Jeder kennt die triviale Antwort: Mittels Strafe; strafendem Elend, Straffolter, strafender Verstümmelung, strafendem Mord.
Folglich gibt es "Schuldgefühle" nicht, jedenfalls nicht auf der Grundlage, die Du anführst, es ist ein irreführender Name für eine eigentümliche Form von Furchtsamkeit, welche von Straffurcht emanzipiert erscheint.

Woher diese Eigentümlichkeit? Ich verschiebe die Antwort für einen Moment.

Die o.zit. Behauptung / Überlegung brichst Du mit einem metamoralischen, poetischen Larifari ab:

Es ist die Kraft, die stets das "Gute" will und nur das "Böse" schafft.

Was soll der offensive Quatsch? Du führst es der dankenswerten Raffung halber umgehend vor:

Gedenken an Verbrechen sollte das Ziel haben eine Wiederholung zu vermeiden.

In der Bezeichnung "Verbrechen" nimmst Du alles vorher Gesagte mittels eines Perspektivwechsels zurück. Wer bringt "Verbrechen" auf die Welt? Richtig, ein "Gesetzgeber", eine Herrschaft, und dabei handelt es sich um keinen Menschen, sondern um eine von Menschen geschaffene Realabstraktion, ein Institut, dem menschliche Eigenschaften, zugeschrieben werden, namentlich ein Wille.
Kein Dödel bringt "Verbrechen" auf die Welt, sondern allenfalls Verstöße.

Um Beispiele zu nennen: Verstöße gegen den Willen eines Mitmenschen bzw. Übergriffe auf denselben; Verstöße gegen Sitten und Gebräuche, allgemeiner: gegen ein geordnetes Sozialleben; Verstöße gegen den guten Geschmack; Verstöße gegen einen gedanklichen / spirituellen Konsens; oder, wie in Deinem, anhand dieses Postings vorgeführten Fall: Verstöße gegen etwas, das Logik heißt, es kann auch ein Verstoß gegen das Denken selbst geheißen werden.

Schau selbst, was Dein Verstoß leistet. Du schreibst:

Gedenken an Verbrechen sollte das Ziel haben eine Wiederholung zu vermeiden.

Hättest Du nicht den Logikverstoß begangen, der in der Verwendung des Wortes Verbrechen liegt, hätte Dich ein folgerichtiger Gedanke genötigt, hier von Schadensvermeidung zu reden; und Schadensvermeidung ist nunmal konkret, ist gegenständlich, ist "materiell", statt ideell, wie es das Pärchen "Gesetz" und "Gesetzesverstoß" ist, obgleich es einen zusätzlichen Schaden materiell in die Welt zu setzen verspricht, eben die Strafe.

Der ideelle Charakter des Gesetzes bzw. Gesetzesverstoßes, der konkret in der Emanzipation des Gesetzes vom einzelnen Schadensfall liegt, ist in dem Zusammenhang der "Schuld", den Du herstellst, von zentralem Belang, denn er setzt den Begriff der Sühne in die Welt. "Sühne" ist die praktische Seite von "Schuld", ihre materielle Gestalt. Das merkt man - an der Stelle kürze ich ein wenig ab - wenn man sich klar macht, daß Sühne, wo sie nicht fälschlich zur Bezeichnung für "Strafe" genommen wird, der reinrassig moralische Inhalt von Schuld ist, nämlich die Weise, wie ein Mensch vom Verstoß gegen das Gesetz (oder sonst irgend etwas) innerlich zurücktritt, und zwar - dies ist der entscheidende Punkt! - unabhängig davon, ob der Verstoß begangen, oder nur gedacht war.
"Sühne" ist das Paradigma von Moral überhaupt: Internalisierung strafender Gewalttätigkeit.

Institutionell (siehe oben) handelt es sich deshalb um die Emanzipation strafender Gerechtigkeit ("einem Gesetz gemäß sein") von konkreten Zielen und Zwecken einer Schadensvermeidung, und Du hast da mitgemacht.
Du hast, um dasselbe anders zu sagen, den horrenden Unsinn von der "Kraft, die stets das Gute will und doch das Böse schafft", für Dich selbst wahr gemacht und vorgeführt, wie das geht: Mittels Unterwerfung unter ein Gesetz macht es ein jeder Moralhänger für sich selbst wahr, ausschließlich für sich selbst.