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  • Karl-Katja Krach

528 Beiträge seit 09.07.2019

"Zeitgemäße Kapitalismuskritik"?

Doch bei Attac will man es in diesen Tagen so genau offenbar gar nicht wissen. Man will jetzt einfach den Kapitalismus überhaupt kritisieren, und auf keinen Fall einfach zurück zu irgendeinem alten System. Ja, manche scheinen die Frage der Überwindung des Kapitalismus – oder auch der sozial-ökologischen Transformation usw. – völlig losgelöst von der globalen Dimension zu diskutieren, als gäbe es das globale, neoliberale Korsett überhaupt nicht.

Das hat nicht nur rein gar nichts mit zeitgemäßer Kapitalismuskritik mehr zu tun. Es wird hier offenbar auch jene vom Neoliberalismus abgelöste sozialdemokratische Epoche ganz selbstverständlich vorausgesetzt, zu der man andererseits auf keinen Fall zurückkehren möchte.

Vereinfachungen und Irrationalismen werden nicht bekämpft, indem sich die Kritik der "Zeit" (also der herrschenden Meinung) annähert, sondern ihrem Gegenstand.
Kapitalismusgemäße Kapitalismuskritik bitte!

Durch die Ersetzung fossiler durch nachhaltige (oder als solche gelabelte) Technologien wird geschaffener Wert (akkumulierte Arbeit) außer Wert gestellt. Die kapitalistische Krise kann (oder könnte) also derzeit auf liberalem Weg durch Profitsteigerungen überwunden werden, die durch die Ersetzung alter durch neue Technologie gemacht werden. Vorausgesetzt, die Staaten sind bereit, nicht zu warten, bis die alte Technik wirtschaftlich komplett abgeschrieben ist, wonach es momentan allerdings eher nicht aussieht.

Auch wenn manche Disposita des Sozialliberalismus momentan gebraucht werden, um den Neoliberalismus oder Spätkapitalismus (je nach Theorieschule) gewissermaßen einzufangen, sind die Fragen nach dem Umgang mit dem strukturellen Wachstumszwang und der Überwindung der zyklischen Akkumulationskrisen ideologisch zu beantworten.

Zum Wachstumszwang: Was da die liberale Ideologieproduktion außer schamlosem postkolonialem Imperialismus zu bieten hat, führt Ulrike Herrmann von der taz vor: einen "Kriegskapitalismus", d.h. einen autoritären Staat, der Produktions- und Konsumquoten festlegt, verbunden mit einer kapitalistischen Produktionsweise.

Was die Überwindung der Krise angeht, bedeutet eine Rückkehr zum Sozialliberalismus, dass eine antizyklische keynesianistische Investitions- und Steuerpolitik eingesetzt wird, mit staatlichen Investitionen in der Depression und höheren Steuern in der Hochkonjunktur. Da allerdings die Kriseneffekte durch u.a. den Derivatehandel und den Immobilienmarkt über den gesamten Krisenzyklus verschmiert sind, wird ein sozialiberaler Staat, wenn er diese Wirtschaftssektoren nicht stark verkleinert (und das senkt die gesamtwirtschaftliche Renditerate und macht anfälliger für Kriseneffekte), über den gesamten Krisenzyklus hinweg dauerhaft investieren und dementsprechende Steuern erheben müssen.

Bei dieser Rechnung bleibt allerdings außen vor, dass, um im Tief kapitalistisches Wachstum zu erzeugen, erarbeiteter Wert außer Wert gestellt werden muss, damit dieser Wert, ein Ersatz oder eine Ersetzung, neu geschaffen werden kann. Schumpeter nannte dies euphemistisch "kreative Zerstörung".
Die sozialen Kosten für diese gewaltförmige Außerwertstellung von Werten zahlt das Proletariat, das Subproletariat (eine Klasse, deren Existenz notwendig mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden ist und die der Sozialliberalismus strukturell bedingt nicht abschaffen kann), sowie die Soloselbständigen und Kleinunternehmer.

All dem - strukturell bedingter Wachstumslogik, autoritärem Staat (wenn das mal nicht schon doppelt gemoppelt ist), zyklischen Krisen, die sich aus einem Mangel an Kooperation speisen, sowie der Logik der gewaltförmigen Krisenbewältigung - gilt es linke emanzipatorische Antworten entgegenzusetzen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (02.04.2023 00:08).

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