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mehr als 1000 Beiträge seit 13.01.2000

Anmerkungen: Grauzonen, Eliten; Gegenargumente

Ein sehr schoener Artikel. Was mir dabei fehlte sind die Grauzonen.

Wir alle verstossen gelegentlich gegen Vorschriften, sei das, indem
wir einem uns vom Wind entrissenen Papier nicht nachrennen, sei
das, indem wir auf ansonsten unproblematischer Strasse eine
Geschwindigkeitsbeschraenkung uebersehen, sei das indem wir bei
der Steuererklaerung wissentlich oder unwissentlich Fehler machen.

Ein alles sehender und alles exakt nach den Buchstaben des Gesetzes
ahndender Staat wuerde uns in all diesen Situationen zum Gegner
werden. Weil wir uns bewusst sind, dass uns das eine oder andere
"Kavaliersdelikt" unterlaufen ist bzw. sein muss, ist es uns lieber,
wenn der Staat nicht alles sieht. (Und oft genug haben solche Dinge
ja auch keine weiteren Konsequenzen, selbst in hochgradig normativen
Staaten.)

Oft ist es uns auch nicht bewusst, wo die Grenzen liegen. Man denke
nur an die Gepaeckbeschraenkungen bei Flugzeugen. Wenn ich nun mit
einer Flasche Wein aus Spanien nach Deutschland fliegen will, darf
ich das, und falls nicht, was sind die moeglichen Konsequenzen ? Im
Alltag gibt es unzaehlige aehnliche Situationen, in denen man sich
nicht sicher ist, ob man gegen bestehende Regeln verstoesst, und
welche Folgen das Gesetz vorsieht.

Ein nicht alles sehender Staat, bzw. sonstiger potentieller Gegner
(man denke nur an Urheber-, Marken-, oder Patentrecht) gibt uns das
(leider manchmal truegerische) Gefuehl, sicher zu sein, solange wir
keine groben Verstoesse begehen.

Die einzige sichere Methode, um nicht versehentlich gegen Gesetze
zu verstossen, waere, in allen Zweifelsfaellen die restriktivst
moegliche Auslegung anzunehmen, und danach zu handeln. Ob ein Volk
von praktizierenden Paranoikern wirtschaftlich und gesellschaftlich
ueberlebensfaehig waere, sei dahingestellt. Auf jeden Fall waere
von so einer Gesellschaft nicht zu erwarten, dass aus ihr
nennenswerte innovative Impulse hervorgehen, was gerade fuer
Staaten, die sich einer solchen Kultur ruehmen, peinlich sein
sollte.

Soviel zum Artikel. Im Forum wurde nach Gegenargumenten gesucht.
Ich denke, fuer die muss man etwas tiefer gehen. Wie im Artikel
bereits angetoent, impliziert das "nichts zu verbergen haben"
eine antidemokratische Grundhaltung. Ich denke, die ist angreifbar,
da Leute, die auf den Staat als solchen stolz sind, auch gerne an
die Macht der Demokratie glauben - nicht zuletzt, weil sie
regelmaessig zur ideologischen Abgrenzung gegen andere Staaten
verwendet wird.

So sollte man ihnen also erst mal ein Stueck weit zustimmen, und
sich von ihnen das Vertrauen in die Eliten zusichern lassen. Die
Eliten zeichnen sich dadurch aus, dass die eben "besser" sind als
der normale Buerger. Damit greift das Argument des gegenseitigen
Vertrauens nicht. Der Vertreter der Elite darf den "dummen" oder
"fehlgeleiteten" Buerger verdaechtigen, waehrend er selbst per
definitionem ueber derlei Zweifel erhaben ist. Und
selbstverstaendlich hat die Elite die Integritaet, sich beim
Beobachten alltaeglicher Peinlichkeiten edel und diskret zu
verhalten.

Der Elitetreue wird sicher auch gerne bereit sein, Fehlverhalten
der Vertreter der Eliten als wenig relevante Ausreisser zu
betrachten, und eine innere Kraft zur Selbstreinigung der Elite
annehmen. Ausserdem wird er wohl davon ausgehen, dass die Elite
in einer besseren Position ist, Fakten korrekt beurteilen, als
ein Beobachter, der nicht der Elite angehoert.

An dieser Stelle koennte man den, der nichts zu verbergen hat,
fragen, ob er nicht damit einverstanden waere, die Demokratie zu
entfernen. Denn warum sollte die Elite, der er ja vertraut, nicht
in der Lage sein, sich auch langfristig selbst zu organisieren,
und fuer das Wohl der Buerger zu sorgen.

Dagegen erlaubt die Demokratie es den fehlbaren Buergern, die
quasi unfehlbare Elite in ihrer Arbeit zu stoeren, und sorgt
dabei erst noch fuer erhebliche Kosten und Verwirrungen.

Nun sollte er eigentlich unser Spiel durchschauen und boese
werden. Aber auch falls der Elitentreuer dem grundsaetzlich
zustimmt - wir duerfen ihn nun einen Antidemokraten nennen -,
dann koennte man ihn z.B. mit Singapur konfrontieren. Vermutlich
duerfte ihm dieses Beispiel sogar gefallen, denn dort scheint
genau ein solches System erstaunlich gut zu funktionieren.

Wenn wir ihn nun soweit haben, die Demokratie offen abzulehnen,
muss die Frage erlaubt sein, warum er sich nicht auch aktiv
dafuer einsetzt, dass seiner Ueberzeugung Rechnung getragen wird.
Und an der Stelle sollte der Hinweis nicht fehlen, dass die ihm
so lieben Gesetze genau das unter Strafe stellen wuerden.

Nun ja, vielleicht ist unser Ueberwachungsbejaher aber auch
schlicht zu muede, um dieser Argumentation zu folgen.

- Werner
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