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Kosten-Nutzen-Rechnung

robfo schrieb am 28. September 2006 14:43
> Muss deshalb jeder Demokarat gleich auch gegen jede Überwachung der
> Bürger sein? Ich denke: Nein.

Nun, es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Auf der Nutzenseite erwarten
wir unterbleibende empfindliche kriminelle Stoerungen (wozu ich auch
den Terrorismus rechnen moechte).

Einige Kosten krimineller Stoerungen:

- direkter Verlust von Guetern
- direkter Verlust von koerperlicher Integritaet, bis zum Tod
- indirekte Verluste, z.B. Fluege werden teurer, Asbestverseuchung
  durch einstuerzende Hochhaeuser, usw.
- psychische Auswirkungen der Angst vor solchen Stoerungen
- Verhaltensaenderungen zum Vermeiden von solchen Stoerungen, z.B.
  Vermeiden von Reisen, Einschraenkung der Wahl von Wohnorten, usw.

Die Kostenseite der Ueberwachung ist komplexer:

- allgemeine Stoerungen des Alltags, z.B. Wartezeiten bei Kontrollen
- persoenliche Stoerungen (irrtuemliche Festnahme (1), usw.)
- Ueberwachungstechnik und Ueberwachungspersonal
- durch Missbrauch entstehende Schaeden
- durch fahrlaessige Lecks o.ae. entstehende Schaeden
- Kontrollverlust durch bekannte Verhaltensbeschraenkungen, z.B. wenn
  man weiss, dass jeder, der sich den Koran kauft, anschliessend vor
  jedem Flug erst mal zwei Stunden lang gefilzt wird
- Kontrollverlust durch vermutete Verhaltensbeschraenkungen, z.B.
wenn
  man Angst hat, sich verdaechtig zu machen, wenn man den
muslimischen
  Nachbarn auf der Strasse gruesst
- indirekter Kontrollverlust, z.B. wenn potentiell verdaechtige Leute
  keinen Job mehr kriegen, weil der Arbeitgeber Angst hat, selbst
unter
  Verdacht zu geraten
- Folgeschaeden des Kontrollverlusts, z.B. Verlust kultureller
Vielfalt,
  politischen Engagements (das ja auch Teil einer funktionierenden
  Demokratie sein soll)
- Folgen potentieller Eskalationen (2), wie z.B. Verwenden der Daten
  fuer geringfuegige Delikte oder kommerzialisierung (z.B. an
  Versicherungen oder Banken)

Ein Problem mit der Ueberwachung ist eben, dass sie nicht vollkommen
geheim ist. Man weiss, dass man moeglicherweise ueberwacht wird, und
passt seine Paranoia daran an.

Ein gewisses Mass an Ueberwachung ist sicher sinnvoll. Aber sobald
das in eine moeglichst lueckenlose Dauerkontrolle ausartet, riskiert
man ebenso gesellschaftliche Schaeden, wie wenn man Kriminellen aller
Art freie Hand lassen wuerde.

Zu (1): die direkten individuellen Folgen der Ueberwachung haengen
von
einigen Faktoren ab. Wenn die Polizei beispielsweise mit und ohne
Ueberwachung jeweils eine relativ konstante Zahl von Personen fuer
sie
merkbaren Schikanen aussetzt, dann kann Ueberwachung helfen, die
Datenlage zu verbessern, und bei diesen Massnahmen eine hoehere
Trefferquote herbeifuehren. Der "unbescholtene Buerger" profitiert in
dem Fall auch im Alltag von der Ueberwachung.

Wenn dagegen nach Indikatoren gesucht wird, und jeder, auf den ein
bestimmtes Profil passt, schikaniert wird, dann besteht das Risiko,
dass diese Interventionen stark zunehmen. Das wuerde dann dazu
fuehren,
dass viel mehr harmlose Zeitgenossen unter zusaetzlichen, spuerbaren
Kontrollen zu leiden haetten.

Zu (2): auch die Eskalationsfolgen aufzuschluesseln, spare ich mir
mal :-)

Wie man diese Kosten gegeneinander aufrechnet, ist natuerlich
keineswegs trivial. Sicher ist nur, dass, wenn man voraussetzt, dass
mehr Ueberwachung immer auch einen potentiellen Sicherheitsgewinn
mit sich bringt (und das wird derzeit von der Obrigkeit generell
vorausgesetzt (3)), das Ziel, 0 Terrorismus zu erreichen,
zwangslaeufig zur maximal moeglichen Ueberwachung fuehren muss.

Wenn weiter die Terrorfreiheit als hoechstes Ziel gilt, dem alles
andere unterzuordnen ist, dann verwundert es wenig, dass munter
alle Arten von Freiheiten untergepfluegt werden.

(3) Am Beispiel von vielen Militaerdiktaturen laesst sich diese
Annahme bereits widerlegen: unter einer Militaerdiktatur geht i.R.
die nichtstaatliche Kriminalitaet in einem erheblich staerkeren
Mass zurueck als die staatliche Kriminalitaet zunimmt. Dabei
"friert" aber die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des
Landes ein, da ja niemand aus der Reihe tanzen will. Wenn dieser
Zustand lang genug anhaelt, verschlechtern sich dann die
allgemeinen Lebensumstaende drastisch, was zu einem umso schwereren
Kollaps fuehren kann. Ausserdem wird das Land dann, dank einer
apolitisierten Gesellschaft, anfaellig fuer politische Ausbeuter.

- Werner

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