Wenn man die ganz harte Messlatte anlegt wie hier angedeutet, sieht es ganz düster aus:
Heise.de schrieb:
Im Januar 2015 führte dann das Meinungsforschungsinstitut YouGov eine Umfrage durch und das Ergebnis war, dass 35 Prozent der deutschen und sogar 37 Prozent der britischen Arbeitnehmer angaben, dass ihr Job keinen sinnvollen Beitrag für die Welt leistet.
Ich bin überrascht, dass immerhin ein Drittel aller Arbeitnehmer so stark reflektieren über Sinn und Unsinn ihrer Werktätigkeit, dass sie zum Schluss kommen, "sinnfreie Jobs" zu machen. Aber halt: was ist ein "Job mit Beitrag für die Welt"?
Das ist nämlich so eine Sache. Nehmen wir an, es brennt nie und es gäbe keine Kriminalität, dann bräuchte es weder Feuerwehr noch Polizei und diejenigen, die trotzdem solche Jobs machen, kämen zur obigen Einsicht. Und gäbe es nur gesunde Menschen und stürbe auch der Mensch im höchsten Alter ohne Notwendigkeit von Ärzten und Pflegekräften, bräuchte es auch das Gesundheitswesen nicht. Dann wäre Medizin eine Geisteswissenschaft: man beschäftigt sich mit Dingen, die nur der geistigen Befriedigung dienen, aber keinerlei Wert hätten für die Gesellschaft.
Nun, so ist es bekanntlich nicht: es gibt kranke und alte Menschen, es gibt Kriminelle und leider brennt es doch oft genug, dass man eben auch eine Feuerwehr braucht und nicht einfach nur "abbrennen lassen" kann.
Einen reinrassigen Bullshitjob als solchen zu identifizieren, der also wirklich keinen Nutzen für die Menschheit (die Welt) bringt, muss man halt schauen, was anders wäre, wenn niemand den Job macht. Und selbst dann ist das Drittel Bullshitjobs wohl eher optimistisch betrachtet. Machen wir's einfach: ein Unternehmensberater ist ein Bullshitjob - jedenfalls für die allermeisten. Für Unternehmer sind die Berater durchaus wichtig. Nein, die Berater beraten nicht den Unternehmer, wie das Unternehmen besser geführt werden kann und wo die Schwachstellen liegen - ein guter Unternehmer weiß das selbst und braucht dafür keinen Unternehmensberater. Nein, die Berater haben nur EINEN Job - sie sind die Sündenböcke für Entscheidungen der Geschäftsleitung. Diese will Personal reduzieren, will aber nicht die Konsequenzen aus der Entscheidungen tragen (frustrierte, unmotivierte MA) ? Dann kommt eben der Unternehmensberater, rät zu "20% Entlassungen, sonst Bankrott" und die Geschäftsleitung setzt ein Fünftel der Belegschaft mit Verweis auf das Beratungsergebnis auf die Straße. Und die MA glauben das auch noch und nehmen es der Geschäftsleitung nicht übel, sondern mosern über den blöden Berater!
Die ganzen Coaches, Ernährungsberater usw. sind echte Bullshitjobs. Denn was wäre anders, gäbe es sie nicht? Wenn ich wissen will, was ich wann wie essen kann, kann ich auch in ein 100 Jahre altes Hausfrauenbuch schauen, da stehen teilweise genau die gleichen Tipps drin, die heute als "neu" in teuren Beratungsstunden verkauft werden. Wozu braucht man einen Lifestyle-Coach? Warum fragt man nicht die Freunde oder die Familie? Ich meine, wozu brauche ich jemanden, der mein Leben coacht, wenn ich eigentlich nur jemanden brauche, wo ich mich mal auskotzen will, wenn es nicht so läuft? Letztendlich sind das alles "kommerzialisierte Alltäglichkeiten", für die jemand dick Geld einstreichen will, die bislang aber eben einfach bei Bier oder Kaffee und Gebäck mit Freunden abgehakt werden konnten.
Werbeindustrie? Bullshitjob par excellence, ein echter Ressourcenvernichter. Früher hat Reklame informiert, war weitestgehend unaufgeregt und im Anzeigenformat gehalten - und damit günstig. Natürlich gibt's reißerische Werbung schon seit ewigen Zeiten - aber eben nie so krass wie heute. Der Mensch wird überflutet mit Werbebotschaften, jeden Tag tausende, stumpft immer weiter ab und die einzige Möglichkeit, noch durchzudringen, sind noch grellere, lautere und buntere Werbebotschaften in immer höherer Frequenz. So wie man im lauten Raum noch lauter sprechen muss, um gehört zu werden, funktioniert eben auch Werbung.
Dabei ist die Werbeindustrie direkt die erste Industrie, auf die ich sofort und ohne jeden Verlust in meinem Leben verzichten könnte. Dafür lockt der Gewinn, nicht dauerüberreizt durch den Alltag schreiten zu müssen.
Es gibt aber auch im Produktivbereich Bullshitjobs. Sind wir ehrlich: wieviel von dem Zeug, was hergestellt wird, brauchen wir wirklich? Wieviel davon ist kompletter Unsinn, wieviel braucht erst eine Rechtfertigungsgrundlage, um irgendwie sinnvoll zu werden, was ist wirklich nötig? Ja, der PKW ist technisch gesehen Kategorie #2 - nur sinnvoll, weil die Gesellschaft maximale Mobilität fordert. Gäbe es diesen Zwang nicht, bliebe nur noch die "Reisefreiheit" und der "Wunsch nach Mobilität" stehen. Dann rutscht der PKW aber fast in Kategorie #1.
Kurzum: rein von der existenziellen Frage her, was welcher Job für die Menschheit / die Welt tut, könnten fast drei Viertel aller Jobs "Bullshitjobs" sein. Aber das wäre eine bittere Wahrheit für alle, die sich nur über ihre Arbeit definieren und ohne sich kein Leben vorstellen können.
PS: mein Job gehört eher in die Bullshitsparte - wenn man in der Elektronikbranche den Zwang zur Innovation rausnimmt und bei bewährten Dingen bleibt - nur dort also innovativ tätig wird, wo eine maßgebliche Verbesserung möglich ist.