Im Katholizismus wurde jahrhundertelang ein eigenes Kirchenrecht entwickelt, in dem gründlich definiert war, was als Verfehlung, Gotteslästerung, Todsünde etc. zu gelten hatte und entsprechend zu sanktionieren war. Dabei waren Ablasszahlungen noch die gnädigen Formen der Entschädigung – Kirchenbann, Exkommunikation und Scheiterhaufen die schwereren „Kanonen“ („Kanonisches Recht“), mit denen die Kirche ihre Geschäfte optimierte.
Jedenfalls kam die sogenannte Neuzeit und mit ihr die Bürgerliche Gesellschaft unter extrem wahnhaften ideologischen Geburtswehen zur Welt. Im neuzeitlichen Kolonialismus wurden selbst die entlegensten Winkel dieses Planeten mit dem Albtraum des biblischen „Sündenfalls“ infiziert, dessen rassistisches Ausagieren allein in Südamerika 15 Millionen Indios das Leben kostete.
Im 1. Buch Moses, Kapitel 2, Vers 16f. heißt es zwar: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“
Doch aus dieser Prophezeiung mag man entnehmen, woran die jüdisch-christlichen Religionen letztlich gescheitert sind, warum es ihren Verfechtern nicht gelungen ist, Frieden und einen liebevollen Umgang im menschlichen Zu- und Miteinander zu stiften.
Aus psychologischer Sicht entspringen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus derselben Quelle moralischer Verurteilung.
Wie sich die Differenzierung von „Gut und Böse“ in der individuellen Psyche auswirkt, verdanken wir den psychoanalytischen Forschungen seit Sigmund Freud. Dabei wurden schrittweise die unbewussten Anteile des „Über-Ich“ entschlüsselt, in denen die moralischen Werte der Bezugspersonen – normalerweise der Eltern – verinnerlicht werden und ein ganzes Leben lang die Kinder beschäftigen und dirigieren.
Doch bevor die Analysen psychischer Anamnesen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, wurde die Psychoanalyse sowohl von den politischen Machteliten als auch von den kirchlichen Seelenfürsten böse diffamiert und erbittert bekämpft:
„Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Sigmund Freud.“ Diese Beschuldigung markierte die öffentliche Vernichtung der Schriften Freuds während der Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933, gemeinsam mit den Werken prominenter Intellektueller wie Brecht, Döblin, Einstein, Feuchtwanger, Heine, Kafka, Marx, Musil, Schnitzler, Zweig usw. usf..
Zwar sah Freud selbst darin einen gewissen historischen Fortschritt („Im Mittelalter hätten sie mich verbrannt, heutzutage begnügen sie sich damit, meine Bücher zu verbrennen.“), konnte aber nicht verhindern, dass vier seiner fünf Schwestern 1942 im KZ ermordet wurden, während er sich noch rechtzeitig nach London absetzen konnte.