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Der Kern dieser ganzen Diskussion ist die Frage, ob Völkerrecht regiert ("liberalism") oder Großmachtpolitik ("realism").
Ist man auf dem Standpunkt, dass nur Völkerrecht und juristisch relevante Aktionen für eine Politikbewertung gelten sollen, so kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass in der ganzen Ukrainegeschichte der Westen keine groben Verstöße begangen hat (dass die USA dass mehrmals in anderen Regionen taten, ist klar). Russland schon.
Ist man auf dem Standpunkt, dass zu einer Politikbewertung mehr gehört, mündliche Zusagen, verdeckte Beeinflussung, Großmachtpolitik - dann hat der Westen zumindest grob fahrlässig, wenn nicht eindeutig aggressiv gehandelt.
Das Problem des ersten Standpunktes, wie ihn bspw Baerbock in einer dogmatischen Reinstform in dieser Krise vertritt, ist, dass man keine Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass dies aktuell funktionieren kann: Man hat ganz im Gegenteil eine lange Historie der Verachtung des Völkerrechts durch die USA, eine Verachtung und Kleinhalten internat. Organisationen, ungerechte Beziehungen des Westens zu anderen Ländern abseits völkerrechtlicher Beurteilungen.
Es gibt deshalb weder eine Achtung des Völkerrechts auf internat. Ebene, noch die Voraussetzungen, dass dieses immer, unabhängig der Beteiligten durchgesetzt wird. Dazu gehörte bspw eine starke Abrüstung, damit auch Atomwaffenstaaten (die es idealerweise überhaupt nicht geben sollte in so einem Szenario des internat. geregelten Werte-Weltordnung) sich fügen müssen.
Den Salat sehen wir jetzt, wenn man in einer Krise, die eindeutig durch vergangene Großmachtpolitik geprägt ist, man anfängt, nur nach "Wertepolitik" und Völkerrecht handeln zu wollen. Abgesehen von den fehlenden Möglichkeiten einer einfachen Beendigung des Krieges gibt es auch eine internat. mangelnde Akzeptanz (trotz numerischer Eindeutigkeit bei den UN-Resolutionen gegen den Angriff Russlands). Besonders bei den Großmächten, die sich nicht an das Völkerrecht gebunden fühlen.
Mein Vorschlag: Wenn man eine regelbasierte Weltordnung haben möchte, muss man sie auch unter eigenen Schmerzen langfristig so bauen. Vor allem eine starke weltweite Abrüstung. Und Aufgabe eigener Machtansprüche. Leider steht der Konflikt des Westens mit China dem wie es scheint langfristig entgegen. Dafür habe ich auch nur die unbefriedigende Lösung, dass man da eine Abgrenzung ohne Krieg schaffen muss.
Und statt aggressivem Demokratieexport durch Erfolg überzeugen: Langfristig wollen Menschen in Demokratien mit Menschenrechten leben, da bin ich mir sicher. Wenn man das erzwingen will, funktoniert das nicht. Wenn man Länder außenpolitisch und wirtschaftlich ungerecht behandelt, auch nicht. Wir können die Entwicklung in anderen Ländern also durchaus beeinflussen. Nur eben nicht direktiv.