Für den Autor und weite Teile der Öffentlichkeit in Deutschland mag ja die urfaschistischen Versatzstücke in der Ideologie der russischen Machtelite völlig neu und überraschend sein, für diejenigen, die Wort und Schrift dieser Machtelite um Putin in den letzten 10 Jahren auch nur am Rande verfolgt haben, ist sie es nicht.
Dazu muss man nicht einmal ein ausgesprochener Russlandkenner sein, der das Thema zur Gänze durchdrungen hat. Die Wahrnehmung der Reden und Schriften Putins und etwa des Patriarchen von Moskau genügen völlig.
Die innenpolitische Doktrin und das Handeln Putins ist im Wesentlichen von der Vorstellung einer "erzieherischen Diktatur" Iljins bestimmt, was hier lange, viel zu lange mit dem Euphemismus des "russischen Sonderwegs einer gelenkten Demokratie" verschleiert wurde, was seinen populären Ausdruck in dem Satz des Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder findet: "Putin ist ein lupenreiner Demokrat".
Die außenpolitische Doktrin Putins leitet sich hingegen von den Vorstellungen eines pervertierten, mit völkischen Sprenkeln und imperialistischen Großmachtsphantasien durchzogenem "Panslawinismus" ab. Einer der herausragendsten Vertreter ist der Ideologe und Propagandist Dugin, dessen faschistische Gesinnung nur von ganz wenigen auch nur angezweifelt und für die er von seinen Anhängern gefeiert wird. Kern der Ideologie ist es, dass das slawische Volk, nicht Europäer, nicht Asiate, eine besondere Rasse darstellt, die dazu bestimmt sind in einem Euroasiatischen Machtblock unter der Führung der Russ, der in verschiedenen Ableitungen schon mal bis an die Seine in Paris reicht, zu herrschen.
Iljins und Dugin, beiden gemeinsam ist die abgrundtiefe Verachtung gegenüber den liberaler Demokratien, die auch Putin unzweifelhaft und wiederholt zum Ausdruck gebracht hat. Auch das ein Merkmal des Urfaschismus.
Der rhetorische Trick des Autors, einzig und allein auf Dugins allseits bekannte Veröffentlichung aus dem Jahre 2011 und ihren Bezug zu Heidegger hinzuweisen, ähnelt dabei der Vorgehensweise, Putins politische Aussagen auf seine Rede im Bundestag zu reduzieren. Als ob beide seitdem rein gar nichts mehr gesagt und geschrieben hätten, das Zeugnis ablegt über ihre stetig voran schreitende Radikalisierung. Frei nach dem Motto: Dugin hat da mal was geschrieben und sich dabei mit Heidegger auseinandergesetzt. Kein Wort über seine kruden völkischen Thesen, kein Wort über den hieraus abgeleiteten absoluten Machtanspruch der Russ, kein Wort darüber, dass er den liberalen Demokratien Europas die Existenzberechtigung abspricht und genau darin finden sich die Schnittstellen sowohl zu Putins Reden, Schriften und Taten, wie zu der Ideologie der extremen Rechten.
In Zeiten der weltweiten Verbreitung von Informationen ohne größere ökonomischen oder räumlichen Hürden, kann man darüber streiten, welchen Weg die Thesen Dugins genommen haben und welchen Einfluss diese tatsächlich auf die neue radikale Rechte haben. Weitestgehend unstrittig in der Extremismusforschung scheint mir hingegen, dass die us-amerikanischen Alt-Right längst die ideologische Führerschaft bei den international vernetzten Szene der Neofaschisten in West- und Mittel-Europa übernommen hat und dass sich die Ideen und Schriften von Dugin und Iljin hier genauso finden, wie die von Putin. Ob diese nun die Ideologie der Alt-Right wesentlich beeinflusst haben, was eher zweifelhaft ist, oder adaptiert wurden, weil sie dieser Ideologie entsprechen, ist nur schwer zu sagen.
Niemand kann heute noch behaupten, er könne nichts wissen von Putins Ideologie und deren Ursprünge, die sein politisches Handeln bestimmen, auch der Autor des vorliegenden Artikels nicht. Da hilft es auch nicht, diese zu verharmlosen und sie als "Entdeckung" im Sinne eines unredlichen und zweifelhaften Konstrukts hinzustellen.
Eine Entdeckung ist es lediglich nur für diejenigen, die all die Jahre nicht hinsehen wollten oder konnten und diejenigen, die der Auffassung waren, Putin meine nicht, was er sagt und schreibt, selbst dann noch, als er längst eine angriffsfähige Armee an den Grenzen der Ukraine zusammen gezogen hatte.
Der Überfall auf die Ukraine ist die Konsequenz der Ideologie des Panslawismus in seiner urfaschistischen Lesart. Es ist die Konsequenz davon, dass Putin diese Ideologie übernommen und verinnerlicht hat.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.04.2022 11:19).