Zweckpessimist schrieb am 06.01.2016 14:24:
Interessant. Ja da habe ich wohl meiner Erziehung geschuldet die Ursprünge des Monotheismus übersehen, der ja in einer Welt voller Götter entstanden ist. Da wäre es vermutlich kaum gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, dass es nur einen einzigen gibt.
Na ja, den Muslimen ist es tatsächlich gelungen.
Wobei das möglicherweise nicht von Anfang an so war; in der 53. Sure erlaubt Mohammed, die ursprünglich an der Kaaba verehrten drei Göttinnen um Beistand anzurufen. Diese Sure ist aber als "untergeschoben" (in westlicher Formulierung: "satanisch") wieder zurückgezogen worden. Die zynische Sichtweise darauf ist: Mohammed versuchte, den Kult dieser drei Göttinnen zu assimilieren (die waren die beliebtesten Götter der arabischen Glaubenswelt vor dem Islam), aber als er das Zentralheiligtum erobert hatte, brauchte er sie nicht mehr; nach anderen Gerüchten versuchte er, sich damit beim Kult dieser Göttinnen anzubiedern, die wiesen das zurück, woraufhin er eben auf Kultvernichtung umgeschaltet hat. Die beiden zynischen Theorien sind natürlich miteinander kompatibel, stimmen muss freilich keine davon.
Das Christentum hat eine ähnliche Taktik angewendet, um den Polytheisums zu assimilieren, nämlich die vielen Heiligen. Das ist ein genialer Weg, um aus der polytheistischen Antike zum Monotheismus zu kommen: Statt Artemis/Diana, der Göttin der Jagd, gibt es dann halt Hubertus, den Schutzpatron. Schreine wurden umfunktioniert statt abgeschafft. Die Jahrtausende alte Muttergottheit fand ihre Entsprechung in Maria.
In der Tat.
Auch christliche Feste wurden gern auf die Termine heidnischer Feste gelegt. Wer feiern wollte, musste sich entscheiden - und wer auf dem christlichen Fest heidnische Bräuche durchführte, wurde meist missbilligt, aber es wurde ein Auge zugedrückt, Hauptsache, er geht nicht zu einer rein heidnischen Feier. Wenn die rein heidnische Feier ausgestorben war, wurden dann auch auf den christlichen Festen die heidnischen Bräuche ausgetrocknet oder christlich umgedeutet (Sonnwendfeuer z.B.).
Auch generell heilige Orte. Neue Kirchen kamen gern dorthin, wo der heilige Hain war. "Kraftorte" (heilige Quellen, Meditationsplätze, Opfersteine) kriegten mindesten ein Kreuz aufgestellt, und so rasch wie möglich eine Kapelle.
Das war übrigens bewusste Strategie. Die Kirche hat ihren Landeskirchen wenig Vorschriften gemacht, wie sie die Missionierung durchführen sollen, aber es gab Empfehlungen über Taktiken, die woanders gut funktioniert haben.