Henko schrieb am 01.09.2021 00:54:
Wie sollte eine Welt ohne Werbung aussehen?
Ich habe ein neues, innovatives Produkt. Und jetzt?
Ich bedrucke eine große Seite doppelseitig, versehe sie mit markigen Sprüchen und verlockenden Bildchen, versäume nicht, möglichst große Prozentzahlen draufzuschreiben, damit der Kunde weiß, was er bei mir an Geld spart (denn Geiz ist geil!) und lege sie zwischen die Seiten einer Zeitung, und das tue ich wöchentlich.
So etwa?
Wer soll es kaufen und warum, wenn es keiner kennt. Sogar Vertriebler darf ich nicht losschicken, zählen diese lt. des Autorens doch schon zu "Werbung".
Jedes Unternehmes-Webseite, besonders wenn sie dann auch noch bei Google gelistet ist, ist dann folglich auch "Werbung".
Und sobald ich das Produkt irgendwie vorstellen lasse, ist es ja Werbung.
Du hast aber mitbekommen, daß sich der Artikel schwerpunktmäßig gegen eine ganz bestimmte Art der Werbung wendet?
Ein theoretisches Abschaffen von Werbung würde nur zu eines führen:
Mehr Schleichwerbung,
denn irgendwie muss man auf seine Produkte aufmerksam machen.
Dann würde es nach geltender Rechtslage zu Problemen mit der Justiz kommen.
Dass Produkte nur gut genug sein müssen, um sich zu verkaufen, ist doch Blödsinn. Trotz der Qualität müssen Produkten nämlich auch einen ausreichenden Bekanntheitsgrad aufweisen, damit ein potenzieller Kunde sich mit diesem und vergleichbaren Angeboten überhaupt befasst.
Weshalb soll ich Angebote vergleichen, wenn ich mit dem Produkt zufrieden bin? Daß ich immer besser, billiger, häufiger, ... kaufen soll, ist doch gerade eine Methode der Werbestrategen.
Wenn es uns gelänge, kommerzielle Werbung zu Gewinnzwecken abzuschaffen, hätten wir eine Woche mehr Urlaub pro Jahr ohne ein einziges Produkt oder Dienstleistung zu entbehren.
Dass die Leuten ohne Werbung mehr Geld oder Urlaub hätten, ist doch Irrsinn.
Ohne Werbung würden bei so manchen Firmen ggf. der Umsatz einbrechen, ausserdem hat Werbung eben auch den vergleichenden Aspekt, so dass sie Ansporn zu niedrigen Angeboten UND hohen Innovationen schafft.
Ja, beides sind Wünsche der Produzenten. Es ist illusorisch anzunehmen, das seien auch die Wünsche der Verbraucher.
Ohne Werbung würden wir für etliche Produkte mehr zahlen, auch da aufgrund geringeren Absatzes Skalierungseffekte wegbrechen - plus neue, preiswertere und/oder bessere Produkte wären kaum im Markt zu platzieren.
Es ist ja gerade dieser Drang, den Absatz und damit die Konsumption permanent erhöhen zu müssen, der uns - siehe Artikel - etliche ernsthafte Probleme beschert.
Ausserdem ist die These des Autorens abenteuerlich.
Abenteuerlich, Blödsinn, Irrsinn - Du ziehst ganz schön vom Leder.
Ohne Werbung würden eine Menge Produkte und Dienstleistungen wegbrechen...nämlich dort, wo die Finanzierung durch Werbung stattfindet, also bei fast allem, was mit Unterhaltung oder auch Information zu tun hat.
Ja, das führt zu grotesken Verwerfungen. Es ist in meinen Augen unmoralisch, daß Menschen, deren Kleidung keinen werbefreien Zentimeter mehr aufweist, allein dadurch Unsummen von Geld bekommen. Gleiches gilt für Werbeeinnahmen der Medien.
Aber Moral - ich schrieb schon öfter darüber - hat in der kapitalistischen Verwertungslogik keinen Platz.
Diesen hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten steht de facto kein realer Nutzen gegenüber: Werbung nährt uns nicht, kleidet uns nicht, schafft uns kein Dach über den Kopf.
Nun, wenn das die Kriterien sind, welcher Nutzen haben dann Online-Artikel wie dieser?
Über diese Mißstände nachzudenken und darüber zu diskutieren? Oder vielleicht, sie schönzureden?