Ansicht umschalten
Avatar von jfmprof
  • jfmprof

844 Beiträge seit 24.09.2021

Re: Wie lange will man denn die Ukraine besetzen?

Wenn Putin vom Westen Garantien haben wollte, daß die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird, so schränken diese nicht das Recht der Ukraine ein, um Aufnahme in die Staatenbündnisse zu ersuchen, denen sie beitreten möchte. Sondern es geht darum, daß sich die NATO verpflichtet, von ihrem Recht auf Ablehnung eines solchen Beitrittsgesuches Gebrauch zu machen,

Womit das Recht der Ukraine darauf frei zu entscheiden welcher politischen Gemeinschaft das Land angehören möchte praktisch ausgehebelt würde.

Das sehe ich nicht so. Wenn Frau X den Herrn Y nicht heiraten möchte, dann schränkt sie auch nicht dessen Recht ein, sich die Frau zu suchen, die er heiraten möchte und die ihn haben will.

Eine andere Situation hätten wir, wenn die NATO ein Verein wäre, der die Sicherheit (vor militärischen oder terroristischen Angriffen) seiner Mitglieder organisiert und jedem Land offensteht, das sich an gewisse klar formulierte Spielregeln hält. Dann kann sie in der Tat nicht einfach den Aufnahmeantrag eines Landes (sei es die Ukraine oder die Russen) ablehnen, welche diese Spielregeln einhält. Eine Bedingung ist aber offenbar, daß der Aufnahmekandidat aktuell in keinen militärische Konflikt über einen Teil seines Territoriums verwickelt sein darf. Auf die Ukraine trifft das seit 2014 nicht mehr zu, auf die Russen aber schon.

Moskau möchte entscheiden was richtig für die Ukraine ist oder nicht.

Ich glaube eher, Moskau hat sich überlegt, was seinen Interessen dienlich ist. Wobei Moskau sich anscheinend auch als die Schutzmacht der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe in der Ukraine sieht.

Hinzu kommt, was nun geschieht - das scheint dem Motto "hält sich Kiew nicht daran was Moskau möchte, dann kommt Moskau eben nach Kiew" zu folgen.

Das mag sein, aber ändert das etwas daran, daß die Politik der NATO gegenüber den Russen im günstigsten Fall fragwürdig war und bei weniger wohlwollender Einschätzung sogar als aggressiv angesehen werden kann?

Einmal abgesehen davon ist es fragwürdig, in einem Land, das man im Konfliktfall nicht ernsthaft verteidigen kann oder will, erst eine aggressive pro-NATO-Regierung zu installieren und es dann im Stich zu lassen, wenn dies zu einem militärischen Konflikt führt. Es sei denn, es ist der NATO gleichgültig, wenn sie überall verbrannte Erde hinterläßt. Sinnvoller wäre es gewesen, für die Ukraine eine Art Finnlandisierung auszuhandeln.

Ganz ehrlich: wenn ich irgendwo beitreten möchte, dann mache ich das, weil ich mit dem, dem ich da beitrete, fein bin und es zumindest aktzeptabel, oder gar gut finde. Aber ich erwarte nicht, dass man, damit ich beitrete, vorher alles so aufstellt, wie ich das gerne hätte.

Siehe oben, eine klar formulierte nachvollziehbare Liste von Aufnahmebedingungen scheint es nicht zu geben. Wenigstens wäre mir nicht klar, auf welcher Grundlage man Moskau die Aufnahme verweigern will. Man kann Anstoß daran nehmen, daß die Russen Atomwaffen haben. Aber das haben mehrere NATO-Mitglieder auch. Oder das politische System ist zu autoritär, aber dann müßte man an die Türkei vergleichbare Maßstäbe anlegen.

Ich möchte damit nicht die Sicherheitsbedürfnisse Russlands schmälern oder herunterspielen. Jedoch möchte ich sagen, dass diese Bedürfnisse, so berechtigt und legitim sie auch sein mögen, keinesfalls auf Kosten der Souveränität anderer Staaten wahrgenommen werden dürfen. Was im übrigen nicht nur für die Bedürfnisse Russlands gilt, sondern allgemein.

So hat die Politik aber noch nie funktioniert. Sobald es die Sicherheitsbedürfnisse anderer Länder tangierte, war es beispielsweise nicht mehr einfach eine souveräne Entscheidung des 2. deutschen Kaiserreiches, wie groß seine Marine ist.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten