Die Zitate mögen ja korrekt sein. Das sind dann halt persönliche Statements der betreffenden Leute. Ein Zitat fehlt dabei allerdings. Auf das Angebot einer Evakuierung direkt nach Kriegsbeginn antwortete Selenskyj "Ich brauche keine Fahrkarte. Ich brauche Munition!"
Wenn Selenskyj ein Abkommen mit Putin schließen wollte, warum hat er es dann nicht getan? Die Ukraine ist ein souveräner Staat und kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Der „kollektive Westen“ hat keine Handhabe der Ukraine solch ein Friedensabkommen zu verbieten. Es stellt sich allerdings die Frage, wieviel solch ein Abkommen wert ist. Das Budapester Memorandum (https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum) beinhaltete ja auch schon eine Sicherheitsgarantie, die aber offensichtlich durch Russland nicht eingehalten wurde.
Der Artikel nennt mehrfach den "kollektiven Westen". Den gibt es nicht. Die Meinungen zum Krieg gehen sowohl in der NATO als auch in der EU und sogar im Bundestag weit auseinander. Man hat sich in der EU und der NATO erst im weiteren Verlauf des Krieges zusammengerauft. Der "Westen" ist so abstrakt, dass er sich wunderbar für ein Feindbild eignet. Dabei haben in der UN-Hauptversammlung 141 Staaten den Angriff auf die Ukraine verurteilt. Ist das "der Westen"? Dann macht "der Westen" einen ziemlich großen Teil des Planeten aus.
Bei der ganzen Argumentation wird meines Erachtens die innenpolitische Bedeutung des Krieges vernachlässigt. Putin findet seine Wähler hauptsächlich bei älteren, konservativen Menschen. Die werden altersbedingt allerdings weniger. Putin hatte 20 Jahre Zeit etwas aus dem Land zu machen. Hat er aber nicht. Statt dessen dürfen die Oligarchen das Land ungehindert ausbluten lassen und Putin kassiert mit. Wo ist seine Erfolgsbilanz? Was exportiert Russland außer Rohstoffen und Kalaschnikows? Fliegt außerhalb Russlands irgendeine Airline Tupulew? Wieviele russische Autos werden im Ausland gekauft? Da Putin keine Erfolge (beispielsweise einen wirtschaftlichen Aufschwung mit Verbesserung der Lebensqualität für die Bevölkerung) vorweisen kann, braucht er eine andere Strategie. Konservative Leute verherrllichen dann gerne die gute alte Zeit der Sowjetunion. Früher war alles besser! Nein, war es nicht. Aber man redet sich gerne die Vergangenheit schön. Putin fährt einen Kurs "Make Russia great again!" Und da wird dann die Entspannungspolitik der letzten Jahrzehnte in Frage gestellt. Jetzt spielt Putin den starken Mann und schickt Truppen in alle möglichen Länder. Was haben russische Panzer in Georgien oder Moldau zu suchen? Bei den Amerikanern wird so etwas als Imperialismus angeprangert. Mit der Annexion der Krim konnte er bei seinen Wählern punkten. Da hat er es "dem Westen" ordentlich gezeigt. Aber der Erfolg hält natürlich nicht ewig an. Deshalb musste er nachlegen und den Rest der Ukraine angreifen. Das hat er sich wahrscheinlich so leicht vorgestellt wie bei der Krim. Das war zwar eine Fehleinschätzung, aber unter den Kriegsbedingungen konnte er den letzten Schein von Demokratie ablegen. Wer es nur wagt von "Krieg" zu sprechen wird verhaftet. Eine unabhängige Presse oder eine Opposition, die noch den Mund aufmacht, gibt es nicht mehr. Somit nützt der Krieg Putins Machterhalt. Warum sollte er den Krieg beenden wollen?