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  • Frank Eisermann

1 Beitrag seit 07.09.2024

koloniale Sichtweise

In der Tat strotzt der Artikel von zahlreichen Fehlern und überzogenen Verallgemeinerungen. Darauf soll im Folgenden allerdings nur an wenigen Punkten eingegangen werden. Hier soll vor allem gezeigt werden, dass Sachsenröder, der sich vermutlich selbst als kritischer Denker verortet, letztlich eurozentrische, kolonialistische Stereotypen reproduziert. Auch wenn die gängige Literatur weitgehend die neuzeitlichen Staaten des Maghreb vor allem als sog. Piratenstaaten wahrnimmt, geht dieses an der Realität vorbei. Die von ihnen betriebene Kaperpolitik bewegte sich im Rahmen der Rechtsvorstellungen und der Praktiken der zeitgenössischen Staaten Europas. Hier noch der Hinweis, dass zu den ersten Handlungen von jungen Staaten mit dem Anspruch, unabhängige Rechtssubjekte zu sein, i. d. R. die Ausstellung von Kaperbriefen gehört. Das gilt auch für die USA.
Ähnlich verhält es sich mit der sog. Versklavung von Weißen. Diese ist keineswegs vergleichbar mit der karibischen Sklaverei oder der in den USA. Vielmehr vermischten sich in Nordafrika Elemente der traditionellen Haussklaverei mit Umgangsformen mit Kriegsgefangenen, wie wir sie auch aus dem neuzeitlichen Europa kennen, wo bis in das 18. Jahrhundert das Recht auf die Tötung der Gefangenen rechtstheoretisch anerkannt wurde, allerdings der Tausch, gegebenenfalls Freikauf, von Gefangenen bevorzugt wurde, weil es sich hier um aufwendig geschultes Personal handelte. Diese Praxis wurde in Europa mit der Entstehung von Massenheeren im Kontext der Revolutionskriege obsolet.
Tatsächlich liegt Sachsenröder richtig, wenn er auf die besondere Rolle des Mittelmeerraumes für die jungen USA verweist. Frank Lambert machte in seiner Schrift „The Barbary Wars“ darauf aufmerksam, dass die USA mit ihrer Revolution zwar die politische Unabhängigkeit erstritten hatten, mitnichten aber ihre ökonomische, denn nicht nur Großbritannien gestattete der ehemaligen Kolonie nicht den Zugang zu seinem Wirtschaftsraum, auch die politischen Verbündeten der jungen Republik, Frankreich und Spanien verfolgten diese merkantilistische Strategie, aber keineswegs die ökonomische. Der Mittelmeerraum, so Lamberts Argument, bot einen vergleichsweise leicht zugänglichen Wirtschaftsraum. In dieser Zeit hatte hier kein europäischer Staat eine vollständige Hegemonie und die militärische Stärke der Staaten des Maghreb war mittlerweile recht übersichtlich.
Völlig verkehrt liegt Sachsenröder allerdings, wenn er behauptet, die USA hätten „dem Piratenunwesen“ ein Ende bereitet. Vielmehr dauerte dieses bis 1830 an. Statt dessen kam es im Folgenden zu einigen bemerkenswerten Initiativen im Namen Europas gegenüber den Staaten des Maghreb. Im August 1816 erzwang die Bombardierung von Algier durch eine britisch-niederländische Flotte, die Staaten des Maghreb, zukünftig auf die Versklavung von Kriegsgefangenen zu verzichten. An die Bewegung für ein Ende des Handels mit Afrikanern, hatte sich in Europa eine, die das Ende der Versklavung von Weißen in Afrika forderte, angedockt. Hier wurden bewußt außen- und handelspolitische Interessen mit moralischen Argumenten aufgepimpt und sich zudem paneuropäischer Träume des europäischen Bürgertums öffentlichkeitswirksam bediente. In der Folge übergab 1818 eine britisch-französische Flotte Algier, Tunis und Tripolis den Beschluss des Aachener Kongresses, dass die europäischen Staaten nunmehr die Kaperpolitik der Staaten des Maghreb als Piraterie betrachteten und forderten sie auf, zukünftig einseitig auf diese zu verzichten. Anderenfalls würden die europäischen Staaten ein anti-maghrebinisches Bündnis gründen und ihre Forderungen militärisch durchsetzen. Algier und Tunis wiesen diese von sich. Als es dann ab 1825 zur Kaperung des Hamburger Schiffs Louise durch Tripolis kam, teilte der Pascha der Regentschaft schriftlich mit, das Schiff sei „in Unsern Hafen hier geführt, auch Schiff und Ladung für gute und rechtmäßige Prise erklärt“ worden, „[d]a seine durchlauchtige Hoheit seit langen Jahren an das Hamburger Gouvernement geschrieben, um einen Friedens=Tracktat zu schließen, aber durchaus keine Antwort erhalten habe“. Tatsächlich hatte Großbritannien 1818 der Hansestadt die Moderation von Friedensverhandlungen mit Tripolis angeboten, bei denen ein kostenloser Vertrag in Aussicht gestellt wurde.
Dass seit 1830 Tripolis und Tunis einseitig auf die Kaperung europäischer Schiffe verzichtete, erst mit der Seerechtsdeklaration von Paris 1856 wurde die Kaperei durch private Schiffe generell verboten, „verdankt“ Europa der französischen Besetzung von Algier im selben Jahr. Der eigentliche Auslöser dieses Konfliktes waren offene Rechnungen für Getreidelieferungen aus Algier an Frankreich aus der Zeit der Revolutionskriege. Doch das Zeitfenster für gemeinsame europäische Aktivitäten, spätestens seit dem Beginn des Griechischen Unabhängigkeitskrieges 1821 geschlossen. So versuchte Großbritannien Friedensverhandlungen zwischen den Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck und den Staaten des Maghreb zu vermitteln, da es ein Interesse an der Stabilisierung des Mittelmeerraumes hatte. Währenddessen war die französische Diplomatie im Vorfeld der Landung in Nordafrika bemüht, von kleinen und mittleren Staaten zu einer solchen Aktion im Namen Europas aufgefordert zu werden. Tatsächlich beteiligten sich nur andere bourbonische Staaten an der Blockade von Algier.
Wenn man tatsächlich etwas aus der Geschichte der Staaten des Maghreb und ihrer Beziehungen zu den europäischen Staaten bzw. den USA für die Gegenwart lernen möchte, wären m. E. zwei Aspekte zu nennen. Zum Einen bieten sie ein gutes Beispiel dafür, dass das Konstrukt der sog. Schurkenstaaten offenbar aktuell auch deshalb gut funktioniert, weil es einen nur selten thematisierten geschweige reflektierten historischen Vorlauf hat. Zum Anderen aber zeigt er aber auch die Möglichkeit einer wirksamen asymmetrischen Kriegsführung auch zur See aus einer historischen Perspektive.

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